»Der Taser ist ein zusätzliches Mittel der Schmerzzufügung«

Flächendeckende Einführung von Tasern in Nordrhein-Westfalen geplant

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
In Nordrhein-Westfalen könnte der Taser bald landesweit eingeführt werden.
In Nordrhein-Westfalen könnte der Taser bald landesweit eingeführt werden.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) informierte den Landtag kürzlich über das neue sozialwissenschaftliche und einsatztaktisch-technische Gutachten zum Einsatz von Tasern. Die Landesregierung aus CDU und Grünen hatte sich bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, den bei den Grünen umstrittenen Taser »wissenschaftlich und ergebnisoffen« zu evaluieren. Die Ergebnisse der Forscher von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, des Forschungsinstitutes für öffentliche und private Sicherheit Berlin und der Hochschule für Polizei in NRW waren mit Spannung erwartet worden und liegen nun vor.

Sie bescheinigen dem Taser eine sehr hohe Akzeptanz in der Polizei. Die bloße Androhung des Tasers soll demnach Personen zuverlässig beruhigen. »Die hohe Akzeptanz ergibt sich vor allem daraus, dass mit der Androhung des Tasers ohne großen Aufwand Personen vergleichsweise zuverlässig beruhigt und zum Befolgen polizeilicher Anweisungen gebracht werden können, ohne dass dazu eine körperliche Auseinandersetzung riskiert werden muss«, steht in dem einsatztaktisch-technischen Gutachten. In 81 Prozent der Fälle genügt demnach die reine Drohung mit dem Taser, um eine Situation zu entschärfen.

Das sozialwissenschaftliche Gutachten bestätigt die »deeskalierende Wirkung« des Tasers und die Tatsache, dass gerade Polizisten dies schätzen. Die Polizeigewerkschaften stellen sich hinter die Gutachten und fordern jetzt, vom Testbetrieb zur flächendeckenden Ausgabe des Tasers in allen Polizeien in NRW überzugehen.

Rafael Behr, Polizeiforscher an der Akademie der Polizei Hamburg, hat starke Bedenken wegen des Tasers und sagt im Gespräch mit »nd«: »Das Gutachten der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin befasst sich gar nicht mit dem Taser selbst, sondern mit seiner Wirkung auf die Bevölkerung und innerhalb der Polizei.« Die Wahrnehmung in der Bevölkerung sei unspektakulär. Dass Polizisten sich für die Anwendung aussprechen, verwundere nicht, suggeriere der Taser doch eine zunehmende Überlegenheit und Durchsetzungsfähigkeit aus der Distanz heraus. Kurzum: »Er unterstützt die dominante Position der Polizisten im Konflikt.« Auch müssten sie ihrer Klientel nicht mehr nahekommen.

Das »mildeste Mittel der Polizei ist er nicht, er gilt sogar als Waffe«, so Behr. Wenn nun davon gesprochen wird, dass Pfefferspray und Schlagstock weniger oft eingesetzt werden sollen und stattdessen mit dem Taser gedroht werden soll, dann beginne die polizeiliche Intervention schon beim Waffengebrauch. Die einstige »stärkste Waffe« des Polizisten, das Wort, weicht laut Behr dann der Waffe. »Ich vermute bei einer flächendeckenden Einführung auch eine flächendeckende Reduktion der polizeilichen Kommunikation und einen häufigeren Einsatz in Situationen, die einfach nur verbal ›verkürzt‹ werden.« Die Gutachter stellten indes auch klar, dass die Polizisten in entsprechenden Einsatzlagen unbedingt ausreichend kommunizieren müssten. Oft benutzten die Beamten den Taser in Situation, so die Forscher, in denen er gar nicht erforderlich ist. Die Regeln für den Einsatz müssten daher konkreter werden. Dafür bedarf es aber Änderungen im Polizeigesetz – die Politik ist hier am Zuge.

»Der Taser wird eingesetzt, wenn es gar nicht nötig wäre«, meint auch Behr. Er sei eben »keine Alternative zur Schusswaffe, sondern ein selbständiges und zusätzliches Einsatzmittel zur Schmerzzufügung«. Und, im Gegensatz zu der Meinung der Gewerkschaften, schließe der Taser »überhaupt keine Lücke von Einsatzmehrzweckstock und Schusswaffe«. Vielmehr gebe er der Polizei eine zusätzliche Möglichkeit, aus der Distanz heraus Gewalt anzuwenden.

Bei Messerangriffen etwa wird der Taser zudem immer von einer Schusswaffe »abgesichert«; wenn er nicht wirkt, wird sofort geschossen. Behr führt den Fall aus Bochum vom vergangenen Wochenende an, wo die Polizei auf ein zwölfjähriges Mädchen gleichzeitig mit Taser und Schusswaffe schoss. »Die Wirkung des Tasers wurde gar nicht abgewartet.«

Dass der erfolgreiche Einsatz des Tasers an einige Bedingungen gebunden ist, machen auch die Gutachten und Polizeiforscher Behr klar. »Der Betroffene muss dem äußeren Anschein nach gesund sein, er darf nicht unter Drogen stehen, er darf nicht zu dicke Bekleidung anhaben, er darf sich nicht wegdrehen – alles Bedingungen, die die Polizisten gar nicht kontrollieren können«, so Behr. Anders gesagt: Der Taser funktioniert nur unter »idealen Einsatzbedingungen«. Dazu soll circa jeder vierte Abschuss ein Fehl- oder wirkungsloser Schuss sein, schreiben die Gutachter.

Aus dem NRW-Gutachten geht ferner hervor, dass der Taser die Hemmschwelle zum Gewalteinsatz sinken lässt. »In dem Wissen, keine nachhaltigen Spuren zu hinterlassen, ist eine Gewalteinwirkung auf Menschen sehr viel wahrscheinlicher und leichter als im Wissen darum, dass ein Schuss irreversible Schäden erzeugen kann«, sagt Behr.

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