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Landtag fährt auf Simson ab
Zulassung von umgerüsteten und einst exportierten DDR-Mopeds soll erleichtert werden
»Wenn irgendwo in Brandenburg unverwechselbares Knattern erklingt, dann drehen sich die Menschen lächelnd um«, sagt die Landtagsabgeordnete Martina Maxi Schmidt (SPD).
Die Leute erkennen am Geräusch: Da kommt eine alte Simson S50 oder S51 aus dem Fahrzeugwerk in Suhl, heute von Jugendlichen liebevoll »Simme« oder »Simmi« genannt. Oder es handelt sich um eine Schwalbe, die ebenfalls in Suhl montiert wurde. Diese Mopeds aus DDR-Produktion sind schon seit Jahrzehnten Kultobjekte. Schwalben werden in einer neuen Version mit Elektromotor sogar im Design leicht verändert anderswo wieder gebaut.
Aber der Kultstatus ist es nicht allein. Bei den Älteren verbinden sich mit diesen Mopeds schöne Erinnerungen an ihre Jugend. Es mag Ostalgie mit hineinspielen. Bei Jugendlichen ist die Simson aber auch deswegen beliebt, weil sie damit zu Freunden ins Nachbardorf oder zum Fußball fahren können, ohne ihre Eltern bitten zu müssen, sie mit dem Auto zu bringen und abzuholen. Mit Busverbindungen sieht es ja auf dem Lande oft schlecht aus. Da bietet das Moped Freiheit.
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Das Geniale dabei: Die Simsons dürfen, wenn sie schon vor dem Stichtag Ende Februar 1992 über deutsche Straßen knatterten, mit einem bloßen Versicherungsschild mit Tempo 60 gefahren werden. Neu schaffte eine Schwalbe einst sogar mehr als 60 Kilometer in der Stunde, eine S51 konnte es auf stolze 75 km/h bringen. Aber auch Tempo 60 ist nicht schlecht, da andere Mopeds in der Bundesrepublik auf 45 Stundenkilometer begrenzt waren und sind. Wer mehr will, muss sich ein Motorrad zulegen, das deutlich teurer ist und einen entsprechenden Führerschein erfordert.
Die im Einigungsvertrag von 1990 getroffene Sonderregelung war nicht romantisch, sondern damals rein praktischen Überlegungen geschuldet, erinnert die Landtagsabgeordnete Nicole Walter-Mundt (CDU). Sonst hätten Millionen Ostdeutsche mit dem 3. Oktober 1990 ihre Mopeds plötzlich in der Garage stehen lassen müssen. Mittlerweile gibt es große Treffen von Fans, zum Beispiel auch ein Oldtimertreffen in Germendorf, das zu Walter-Mundts Heimatstadt Oranienburg gehört. Zahlreiche Simsons parkten dort neben Wartburg, Trabant und Lada unter den zusammen 1400 Fahrzeugen, die dieses Jahr von 5000 Besuchern in Germendorf bestaunt worden sind, berichtet die Abgeordnete. Diese Veranstaltung werde immer größer und habe diesmal schon auf eine Fläche mit mehr Platz umziehen müssen.
Weil die Nachfrage so groß ist, werden einst nach Ungarn, Bulgarien und in die Tschechoslowakei exportierte Simsons heute zurückgekauft. Dann gibt es aber mit den Behörden manchmal genauso Schwierigkeiten bei der Zulassung wie auch bei einer Umrüstung der Fahrzeuge auf einen Elektroantrieb. Ob das nicht vereinfacht und erleichtert werden kann, soll die Landesregierung nun prüfen. Die Landesregierung dazu aufzufordern, haben die Koalitionsfraktionen SPD und BSW in seltener Einmütigkeit mit den Oppositionsfraktionen CDU und AfD am Freitag beschlossen.
»Die Simsons sind ein Stück Identität, das bis heute lebendig geblieben ist.«
Martina Maxi Schmidt SPD-Landtagsabgeordnete
Die AfD rühmt sich, das Thema mit einem ersten Antrag im Bundestag im Juni 2024 »groß gemacht« zu haben, wie ihr Landtagsabgeordneter Daniel Münschke erzählt. Ein AfD-Antrag zur Bewahrung der als ostdeutsches Kulturerbe begriffenen Mopeds findet jedoch im Landtag schon aus Prinzip keine Mehrheit. Er fällt in der Abstimmung durch. Angenommen wird am Freitag aber ein ziemlich ähnlicher Antrag, den SPD, BSW und CDU gemeinsam gestellt haben. Für diesen Antrag stimmt dann zusätzlich auch die AfD.
Eine darin formulierte Idee ist es, dass die Simson in Museen wie dem Museum der DDR-Alltagskultur in Eisenhüttenstadt oder dem Brandenburg-Museum in Potsdam stärker präsent sein sollen. Unter den Abgeordneten mangelt es nicht an Fans des Zweirads mit dem durch Fahrtwind gekühlten Zwei-Takt-Motor. Sozialdemokratin Schmidt nennt es »ein Stück Identität, das lebendig geblieben ist«, Christdemokratin Walter-Mundt lobt das »schlichte, aber klassische Design«. Obwohl erst 1985 geboren und nach eigenen Angaben nur »nachträglich ostsozialisiert«, kann auch Oliver Skopec (BSW) nicht anders, als die hochwertige Technik aus Suhl zu würdigen, die noch heute funktioniere. Das sage viel aus über die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Industrie und über die Menschen, die diese Mopeds gebaut haben. Das müsse anerkannt werden, findet Skopec. Dabei sind die Simsons so konstruiert, dass sie durchaus auch reparieren kann, wer nicht den Beruf des KfZ-Mechanikers erlernt hat.
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