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Ein Freund, eine guter Freund für Bernd Cailloux

Ein Alterswerk, aber keins des Jammerns und der Larmoyanz: »Auf Abruf« von Bernd Cailloux

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 4 Min.
Nimmt sich auf höchst unterhaltsame Weise nicht so ernst: Bernd Cailloux
Nimmt sich auf höchst unterhaltsame Weise nicht so ernst: Bernd Cailloux

Bernd Cailloux ist ein Flaneur des eigenen Lebens. Schon seit Jahrzehnten berichtet der Berliner Autor in seinen meist schmalen, aber gehaltvollen Büchern in lockerer Schreibweise von Zumutung und Glück des Alltags. Und er tut dies auf höchst unterhaltsame, amüsante Weise, mit viel Ironie und sprachlicher Fantasie. Dass dabei die Reflexion hin zum Allgemeinen nie zu kurz kommt, macht seine Bücher auch gesellschaftlich interessant.

Aber auch Cailloux lebt nicht ewig. Der Mann ist diesen Sommer 80 Jahre alt geworden! »Auf Abruf« lautet deshalb der Titel seines neuen Buches. Ein Alterswerk, aber keins des Jammerns und der Larmoyanz. Was vor allem daran liegt, dass Cailloux sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Allerdings ändert das wenig daran, dass sich das Ende alles Irdischen auch bei ihm immer wieder in Erinnerung ruft. Das Kicken im Berliner Tiergarten mit den sich ewig jung fühlenden alten Herren geht irgendwie noch. Bedrohlicher sind dagegen die kurzen Ohnmachten, die früher schon mal auftraten. Aber die ließen sich küchenpsychologisch gut als Folge biografischer Blessuren wegerklären. Bei der letzten, im Supermarkt um die Ecke, geht es allerdings nur noch mit gesammeltem Willen und großem Kraftaufwand zurück nach Hause.

Neben diesem altersgemäßen Handlungsstrang geht es in »Auf Abruf« noch einmal um die Situierung des Ich-Erzählers, der nicht ganz, aber doch überwiegend identisch mit dem Autor ist, um seinen Schöneberger Kiez. Hier trifft Cailloux die Freunde in der Stammkneipe und erinnert sich bei der neuerlichen Mieterhöhung an seine Anfänge im alten Westberlin, als die Mieten noch niedrig waren und auch sonst vieles anders.

»Anspruchslos wohnen und leben, aber auf hohem Niveau diskutieren und Erfahrungen machen, sagte diese permanente Begegnungsgesellschaft und schuf eine im deutschsprachigen Raum kaum vergleichbare Kulturoase«, fasst er seine damalige Situation zusammen. Auf der reichlich subventionierten Insel mitten in der DDR blühten brotlose Kunst und Wissenschaft, sodass für seinen Protagonisten immer auch noch eine Schrippe abfiel.

Westberlin war für Cailloux aber auch aus anderen Gründen attraktiv: »Sein Status und andere spürbare Folgen der NS-Zeit, auch die Alltagsrealität hemmte allzu nationale Sichtweisen, neutralisierten den Blick.«

Der Fall der Mauer beendete das Ganze, langsam, aber sicher. »Immer wenn ich eine Sache begriff, war der Mahlstrom der Vereinigung längst weitergekommen, eine schreckliche Dissonanz zwischen der Geschichte und mir, eine ständige Kollapsgefahr für meine Wahrnehmungsfähigkeit. Wie hart musste dies erst für die Menschen auf der anderen Seite sein?«, fragt sich Cailloux’ Ich-Erzähler. Dass die Westberliner Zeit ein für alle Mal vorbei ist, wird von Cailloux mit gepflegter Melancholie abgehakt. Zumal ja jetzt, im Alter, andere Dinge wichtig werden.

Bei der letzten Ohnmacht in der Badewanne wird es dann ernst. Callioux wacht wieder auf, kann aber plötzlich seine Beine nicht mehr bewegen. Die Glieder sind so schlaff, dass es nicht mehr für den Ausstieg reicht. In einer neuerlichen Bewusstlosigkeit beginnt er zu fantasieren, sieht sich auf einer Fahrt nach Schönberg an der Ostsee, wo er kurz zuvor eine Lesung abgemacht hatte. In der Gästewohnung, in der er untergebracht ist, liegt er ebenfalls in der Badewanne und schafft es nicht mehr raus. Dass ihm das in Berlin, in seiner Schöneberger Wohnung passiert, erkennt er erst, als er im Krankenhaus wieder aufwacht.

Vielleicht ist Bernd Cailloux mit seinem, wie er es nennt, »improvisierten Leben« nicht nur Chronist der Gegenwart und der Westberliner Vergangenheit; vielleicht ist seine kultivierte Nicht-Identität ja eine der möglichen künftigen Lebensformen? Eine Identität, die offen und tolerant sein kann, die ihre Kraft weniger aus dem Ursprung der Herkunft als aus einem gelungenen gesellschaftlichen Zusammenleben zieht. Zum Beispiel aus der Freundschaft. Die hatte als große Idee schon einmal Konjunktur, in den 1920er Jahren: »Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt«, sangen damals Heinz Rühmann, Willy Fritsch und Oskar Karlweis in dem Film »Die drei von der Tankstelle«.

Freunde sind ja besonders dann wichtig, wenn man – wie Cailloux – alleine lebt. Ein Freund war es denn auch, der ihn vermisste und die Feuerwehr rief. Die ihn dann gerade noch rechtzeitig aus der Wanne zog.

Bernd Cailloux: Auf Abruf. Suhrkamp, 120 S., br., 18 €.

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