Die Weisen aus dem Abendland

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Die Weisen aus dem Abendland

Über den Italiener könnt ihr sagen, was ihr wollt, aber singen kann er. Italien ist das Land mit der weltweit größten Tenordichte! Die italienische Wirtschaft aber schwächelt bedenklich. Kuckt euch doch bloß mal um in Rom, seit 2000 Jahren steht das Colosseum schon als Investruine in der Gegend rum.

Mich wundert das nicht. Die Unternehmer Italiens gefallen sich allzu sehr in der Rolle von Weicheiern und Sozialromantikern, Enzo Rossi (42) etwa, Inhaber der Nudelfabrik Maccheroncini di Campofilone. Statt beim Chianti die Gesellschaft einer feurigen Signorina auszukosten, verfiel Rossi auf die Schnapsidee mit dem Selbstversuch: Um sich in die Seelenlage seiner Mitarbeiter versetzen zu können, genehmigte er sich selbst einen Monat lang einen Monatslohn von nur 1000 Euro, nicht mehr und nicht weniger, als er jedem seiner Beschäftigten zahlt.

Seine Nudel-Azurri behaupten nämlich, 1000 Euro seien zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Rossi wollte das zunächst nicht glauben, war jedoch bereit, den Fall zu prüfen. Gemeinsam mit seinem Frauchen kaufte er einen Monat lang bloß noch bei Aldi Italiano ein, doch nach Abzug der Fixkosten für Miete, Versicherungen und Rechnungen aller Art war auch bei ihm am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat übrig. »Da hab ich mich geschämt«, bekennt er. »Plötzlich kein Geld mehr zu haben, ist wie zwanzig Meter unter Wasser, und keine Aussicht auf Sauerstoff.«

Ein solches Leben mag Rossi, der Robin Hood der Pasti-Antipasti-Branche, seinen Leuten nun nicht länger zumuten. Darum greift er tief in die Tasche und zahlt ihnen ab Januar 2008 eine Lohnerhöhung von je 200 Euro. So was freut die Belegschaft. Das Unternehmerlager im fernen Deutschland jedoch ist alarmiert, weil Rossi Begehrlichkeiten weckt und die europäische Sozialordnung erschüttert. Wehret den Anfängern! So raunt es hinter vorgehaltener Hand.

Für Deutschland gilt bis auf weiteres: Die Armut nimmt ständig zu, und der Reichtum nimmt gleichfalls ständig zu. Diese Ausgewogenheit nennt der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen soziale Gerechtigkeit, und so gesehen, ist alles im grünen Bereich. Folglich haben die deutschen Arbeitgeber überhaupt keinen Grund, sich rossimäßig in die persönlichen Angelegenheiten ihrer Mitarbeiter einzumischen. Wir leben in einer Demokratie, und damit der Aufschwung brummt, tragen die breiten wie die schmalen Schultern die Lasten zu gleichen Teilen, das heißt: Bezahlen muss jeder, der arme Schlucker ein bisschen mehr, der Reiche ein bisschen weniger.

Und keinen Sozialneid, bitte! Denn Reichtum kann auch ein Fluch sein. Im Gegensatz zum Unterprivilegierten lebt der Bestverdiener immer in der Angst, ausgeraubt zu werden. Um Entführungen vorzubeugen, gibt es von den beiden reichsten Deutschen, den Brüdern Aldi-Süd und Aldi-Nord, nicht mal aktuelle Fotos. Der Hartzi dagegen lässt sich sorglos fotografieren und ist sogar selbst der Gefilmte, sobald Angela Merkel ihn knallhart zwangsverrentet.

Die Preise steigen, als wären sie auf der Flucht, selbst die Weihnachtsbäume kämpfen um den großen Preis von Deutschland. Doch die SB-Volksvertreter von der Großen K.o.alition weigern sich, das Arbeitslosengeld Zwei entsprechend anzuheben. Stattdessen erhöhen sie sich im Stil von wild gewordenen Raff-Terroristen lieber selber die Diäten und erwarten Dankschreiben von den Rentnern, denen sie kürzlich die Rente um den Gegenwert einer Rolle Klopapier hochgeschraubt haben.

Und weil das alles so schön gerecht ist, verlangen die fünf Wirtschaftsweisen noch viel mehr Reform-Unverschämtheiten und soziale Grausamkeiten. Eindringlich warnen sie die Kanzlerin davor, vom rechten Weg der Schröder-Agenda abzuweichen und Wahlgeschenke zu verteilen, um als Wohltäterin zu glänzen.

Das haben wir nicht anders erwartet.

Heine sagt es so: Ich kenne die Weisen, ich kenne den Text, ich kenne auch die Verfasser…

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