- Kommentare
- Innerlinke Debatten
Berlin nach dem 1. Mai: Der Preis der Spaltung
Der Fokus auf Palästina schließt am Maitag viele Linke aus, meint Marten Brehmer
Ein Meer von schwarz-weiß-grün-roten Fahnen, Kuffiyas und arabische Volksmusik – auf den ersten Blick konnten Beobachter meinen, bei der traditionsreichen revolutionären Mai-Demonstration handele es sich in diesem Jahr um eine Veranstaltung palästinensischer Nationalisten. In fast jedem Block dominierte die Solidarität mit dem gebeutelten Gaza. Klassenkampf, Mietenkampf und feministische Forderungen waren demgegenüber kaum wahrnehmbar.
Der Preis dieser Vereinnahmung war ebenso zu sehen: Autonome und progressive Linke beteiligten sich offenbar zu großen Teilen gar nicht erst. Der schwarze Block, der das Gesicht der Demo einst prägte, bildete sich nicht. Auch die linken Großgruppen und Parteien hielten sich fern.
Warum spaltete die Ausrichtung der Demonstration so sehr? Man muss kein Anhänger der Netanjahu-Regierung sein, um bei Hetze gegen »Zionisten«, Rufen nach einer »Intifada« oder der fehlenden Distanzierung zu terroristischen Gruppen mehr als nur Bauchschmerzen zu bekommen. »Siedler selbst sind eine Komponente kolonialistischer Kriegsführung, somit kaum Zivilisten«, rechtfertigte eine der aufrufenden Gruppen im vergangenen Jahr das Oktober-Massaker in Israel. Mit solchen Leuten möchte man ungern gesehen werden.
Die Hoffnungen auf einen Dialog sind gering. Zu sehr sind die Veranstalter in einem verkürzten Verständnis von Intersektionalität gefangen, das Solidarität mit Palästina zur Voraussetzung für jede linke Politik erklärt. Ein Kompromiss ist da kaum möglich. Linke, die dieses Verständnis nicht teilen, sollten sich fragen, ob sie weiter dabei zusehen wollen, wie ihr Tag vereinnahmt wird.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.