• Politik
  • Russland wählt am Sonntag seine Staatsduma - und seinen »nationalen Führer« Wladimir Putin

»Alles läuft nach Plan«

Aber der Präsident lässt die Wähler im Ungewissen über seine Pläne

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 4 Min.
Russlands Wähler müssen sich am Sonntag für eine von elf Parteien entscheiden, und glaubt man dem obersten Wahlkommissar Wladimir Tschurow, hat keine dieser Parteien den Wahlkampf in den Medien dominiert.

Wladimir Tschurow hat Recht: In den ermüdenden Fernsehdebatten von Parteivertretern, die während des Wahlkampfes dreimal täglich – nicht gerade zur Hauptsendezeit – ausgestrahlt wurden, war »Ausgewogenheit« vorgeschrieben. Abgesehen davon, dass die Partei, die unter Nummer 10 auf den Wahlzetteln steht, diese Debatten boykottierte. »Einiges Russland« habe sich »für eine andere Taktik entschieden«, hatte Andrej Worobjow, Vorsitzender des Exekutivausschusses der Partei, den Verzicht begründet.

Im Wahlkampf für »Einiges Russland« (ER) sollte nämlich Präsident Wladimir Putin »die Hauptrolle« spielen. Der hatte sich Anfang Oktober bereit erklärt, als Spitzenkandidat anzutreten. Und einem Spitzenkandidaten müsse man natürlich gestatten, für seine Liste zu werben, befand Wahlkommissar Tschurow – auch wenn er als Präsident medial allgegenwärtig ist.

»Alles läuft nach Plan«, ist eine der Wahllosungen der »Einheitsrussen«. Dabei hatte Putin mit seiner Entscheidung für ER zunächst einmal alle in seiner eigenen Verwaltung erdachten Pläne über den Haufen geworfen. Die Politstrategen im Kreml hatten dem Land ein Zweiparteiensystem verpassen wollen: Neben das konservative »Einige Russland« sollte das sozialdemokratisch orientierte »Gerechte Russland« treten und vor allem den Kommunisten Wähler abspenstig machen. Für die Kreml-Treue auch der neuen Partei garantierte deren Gründer Sergej Mironow: Der Vorsitzende des Föderationsrates war und ist einer der eifrigsten Befürworter einer dritten Amtszeit Putins als Präsident.

Bei Regionalwahlen im Frühjahr erreichte »Gerechtes Russland« denn auch auf Anhieb ordentliche Ergebnisse. Im südrussischen Stawropol überflügelte die Partei sogar die »Einheitsrussen«. Als Putin sich jedoch an deren Spitze stellte, sanken die Umfragewerte der »Gerechten« zusehends. Die Partei droht sogar an der 7-Prozent-Hürde zu scheitern. Wie auch sollte Mironow gegen eine Konkurrenz argumentieren, die von seinem eigenen Idol angeführt wird?

Durch Putins Entscheidung hätten die Parlamentswahlen »überhaupt ihren ursprünglichen Sinn verloren«, schrieb Alexander Konowalow, Chef des Instituts für strategische Bewertungen, in einem Beitrag für RIA-Nowosti. Tatsächlich wurden sie zu einem Volksentscheid erklärt, der Putin als »nationalen Führer« legitimieren soll. Nicht nur Konowalow fragt indes, wie der bisherige Präsident – wenn er es im März 2008 nicht mehr ist – dieses Mandat nutzen wird. »Wird es im Kreml etwa zwei Arbeitszimmer geben: eins mit dem Schild ›Präsident der Russischen Föderation‹, das andere mit dem Schild ›Nationaler Führer der Russischen Föderation‹?« Der Politologe warnt: »Doppelmacht bedeutete in Russland schon immer Destabilisierung und Zuspitzung des innerparteilichen Kampfes. «

Gerade das aber – Destabilisierung und Machtkämpfe – meint Putin verhindern zu können. So beschwört er seine Landsleute geradezu, ihm durch die »Einheitswahl« bestimmenden Einfluss auf das Parlament und den künftigen Präsidenten zu sichern und keinen Rückfall in das Chaos der 90er Jahre zuzulassen.

Zwar sind viele Russen inzwischen höchst unsicher, was Putins Plan eigentlich vorsieht, doch »Einiges Russland« wird die Wahl – fair oder nicht – haushoch gewinnen. Womöglich gar als einzige Oppositionspartei wird die KPRF wieder in die Duma einziehen, denn wie Mironows »Gerechte« müssen auch Wladimir Shirinowskis »Liberal-Demokraten« (weder liberal noch demokratisch) bangen. Alle anderen sind chancenlos.


Zahlen und Fakten: Wie Russland wählt

Bei den Dumawahlen am 7. Dezember 2002 übersprangen nur vier Parteien und Wahlbündnisse die damals bestehende 5-Prozent-Hürde:

Einiges Russland 37,57 %
KPRF 12,61 %
Liberal-Demokraten 11,45 %
Rodina (Heimat) 9,02 %

225 der 450 Sitze wurden in sogenannten Ein-Mandat-Kreisen aufgrund der einfachen Stimmenmehrheit vergeben, so dass auch Abgeordnete anderer Parteien und Unabhängige in die 4. Duma einzogen. Etliche »Unabhängige« schlossen sich jedoch der Fraktion Einiges Russland an, die dadurch die absolute Mehrheit auf sich vereinigte. Nach Abgängen, Übertritten und Spaltungen setzt sich die scheidende Staatsduma wie folgt zusammen (Zahl der Abgeordneten):

Einiges Russland 297
KPRF 47
Liberal-Demokraten 29
Gerechtes Russland 33
Patriot. Volksunion Rodina 11
Fraktionslos 21

Quelle: www.duma.gov.ru

Die diesjährigen Duma-Wahlen unterliegen gemäß Wahlgesetz von 2005 veränderten Regeln:

Sämtliche 450 Abgeordnete werden in einem reinen Verhältniswahlsystem über Parteilisten gewählt. Es gibt also keine »unabhängigen« Kandidaten und keine Direktmandate mehr.

An den Wahlen dürfen nur noch registrierte Parteien teilnehmen, die Bildung von Wahlblöcken ist nicht mehr möglich.

Statt der 5-Prozent-Hürde gilt eine 7-Prozent-Hürde - allerdings nur, wenn mindestens zwei Parteien, die insgesamt mindestens 60 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten haben, auf diese Weise den Einzug ins Parlament schaffen.

Die Möglichkeit, »gegen alle Kandidaten« zu stimmen, entfällt (2002 hatten das 4,7 Prozent der Wähler getan.) Eine Mindestwahlbeteiligung wird nicht mehr verlangt.
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