Zur weiteren Auseinandersetzung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Keine wichtige Wahl ohne Stasi-Vorwurf – daran hatte sich die PDS nach 1989 gewöhnen müssen. Ob die dabei erhobenen Anwürfe auf Fakten basierten oder nicht; ob die regelmäßig von großer Empörung begleiteten Debatten der Aufarbeitung der DDR-Geschichte dienten oder nicht – im Wahlkampf hatten Stasiakten einen festen Platz.

Selbst noch im Herbst 2005, als die frühere Staatspartei Ost längst auf Fusionskurs West lag, reichte eine Interview-Äußerung der Bundesbeauftragten Marianne Birthler, um die Maschine wieder in Gang zu setzen. Das MfS zog dann zwar doch nicht in Fraktionsstärke in den Bundestag. Doch die Hoffnung eines Linkspartei-Sprechers, dies sei »die letzte Wahl, wo so etwas eine Rolle spielt«, wird sich wohl nicht erfüllen. Auch der neuen LINKEN bleibt das Thema nicht erspart. Was nicht zuletzt daran liegt, dass es auch in der Partei nicht unumstritten ist. Kritische Äußerungen von Linkspartei-Politikern zur DDR-Vergangenheit werden von einem Teil der Basis nicht selten als Zeichen genereller Anpassung an den Zeitgeist interpretiert.

Im dokumentierten Selbstverständnis der LINKEN heißt es heute: »An der Tätigkeit des nach innen gerichteten Spitzelwesens und Repressionsapparats des MfS gab es für die PDS nie etwas zu beschönigen, aber Menschen hat sie immer für einsichts- und veränderungsfähig gehalten.« An dieser Klammer – grundsätzliche Kritik und differenzierte Betrachtung im Einzelfall – hatten sich in der Vergangenheit auch die Beschlüsse zum Umgang mit IM-Tätigkeiten von Mandatsträgern und Kandidaten orientiert. »Mitglieder der PDS, die als offizielle oder inoffizielle MitarbeiterInnen für das ehemalige MfS tätig waren und sich um ein Mandat der Partei für eine Wahl zu einer Volksvertretung bewerben, haben die Pflicht, ihre Tätigkeit für das MfS offenzulegen, um eine Einzelfallprüfung zu ermöglichen«, beschloss die PDS 1991. Für die Bewertung sollte »der Grad der persönlichen Verstrickung in Unterdrückung und Unrecht« ausschlaggebend sein. Mandatsträger, die »sich in dieser Frage gegenüber ihren GenossInnen als unehrlich und unsolidarisch erweisen, werden aufgefordert, ihre Mandate niederzulegen«.

Zwei Jahre später musste sich ein Parteitag erneut damit beschäftigen. Es sei »unzweifelhaft, dass der Beschluss nur von Teilen der Partei akzeptiert und umgesetzt wurde«. Selbstkritisch wurde 1993 angemerkt, dass das eigens auf die MfS-Problematik zugeschnittene Papier jenen Vorschub leistet, die die DDR- auf eine reine Repressionsgeschichte reduzieren wollten. Gleichwohl blieb der Beschluss »Zur konsequenten offenen und öffentlichen Auseinandersetzung der PDS mit der Problematik Staatssicherheit« in Kraft.

An den darin enthaltenen Grundsätzen hat sich bis heute offiziell nichts geändert. Im Juni 2006, der Fusionszug mit der WASG war in voller Fahrt, entschied der Linkspartei-Vorstand, dass der Beschluss zur »Offenlegung der politischen Biografie« von 1993 »nichts von seiner Gültigkeit verloren hat«. Etwas anderes ist seither nicht entschieden worden. Zwar ist die Offenlegungsentscheidung nicht unter jenen fünf Parteitagsbeschlüssen aus der Zeit von 1990 bis 2007, die wegen ihrer »fortlaufenden Relevanz« als auch nach der Parteifusion weitergelten. Wegen seiner »besonderen historischen Bedeutung« ist er allerdings »zur weiteren Auseinandersetzung« empfohlen.

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