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  • Sachsen-Anhalts Polizei mit Pleiten gegen Rechts

Abwehrendes Raunen im Hintergrund

Wie Beamte eine Kampagne gegen Rechtsextremismus unterlaufen / Pleiten lassen Politik schlecht aussehen

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Der politisch gewollte Kampf gegen den Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt wird in der Polizei teils unterlaufen. Dieses Bild zeichneten erste Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss im Landtag.

Wenn Sven Gratzik von einem Treffen der Wiking-Jugend erfuhr, konnte den Neonazis der Spaß vergehen. Gratzik, Leiter der Staatsschutzabteilung bei der Dessauer Polizei, rückte mit seinen Leuten an und stellte sich mit an den Grill. »Eine Bratwurst haben wir nicht bekommen«, sagt er. Aber die Musikauswahl der Gastgeber war beschränkt, wollten sie keine Strafanzeige riskieren. Statt verbotener Skinheadbands musste dann »den ganzen Abend Wolfgang Petri gehört werden«.

Gratzik erzählte die Anekdote, als er gestern vor einem Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag aussagte. Sie zeigt: Er war ein engagierter und einfallsreicher Staatsschützer. Als er im August 2004 sein Amt in der Polizeidirektion Dessau übernahm, wurden Linke dort noch »Zecken« genannt. Zwei Jahre später hatte er Polizeireviere dazu gebracht, von sich aus rechte Vorfälle zu melden; seine Kollegen recherchierten im Internet, was die lokale rechte Szene trieb, und trafen sich mit Opferberatern. Der Dessauer Staatsschutz tat also, was die Landesregierung mit einer Kampagne verlangt: »Hingucken!« bei rechter Gewalt.

Lob erhielt Gratzik freilich nicht – im Gegenteil. Als sich die Zahl bearbeiteter Fälle nach zwölf Monaten verdoppelt hatte, maulte sein Chef, das nutze »nur den Linken«. Als es 2006 gar zur Verdreifachung kam, wurde er aufgefordert, die Zahlen zu drücken. Gratzik weigerte sich: »Eine Straftat ist eine Straftat.« Wo intensiv ermittelt werde, »gehen nun einmal die Fallzahlen hoch«.

Das sah die Führung anders. Im Februar 2007 wurde Gratzik samt zweier Kollegen zum Vizechef der Polizeidirektion, Hans-Christoph Glombitza, bestellt. Das folgende Gespräch, dessen Protokoll später an die Medien gelangte, war ein Auslöser für die LINKE, den Untersuchungsausschuss durchzusetzen. Der Polizeichef habe, so bestätigte Gratzik gestern, den Staatsschützern bedeutet, sie müssten »nicht alles sehen« und könnten »Berichte ja auch langsamer schreiben«. Dazu habe er zwei Finger langsam über einer imaginären Tastatur kreisen lassen. Als die Polizisten die Regierungskampagne erwähnten, habe Glombitza erwidert, die sei doch »nur für die Galerie«.

Die Aussagen Gratziks, dem in einer Beurteilung »dogmatische Geradlinigkeit« attestiert wird, bestätigen ein Bild, das sich angesichts vieler Polizeipannen bei Ermittlungen gegen Rechts verfestigt: Die Regierung, insbesondere SPD-Innenminister Holger Hövelmann, hat sich zwar die energische Bekämpfung des Rechtsextremismus auf die Fahne geschrieben. Einige Führungskräfte der Polizei aber tragen den Kurs offenbar nicht mit. Glombitza scheint kein Einzelfall zu sein. Gratzik berichtete von einer Tagung hoher Polizisten, auf der Hövelmann seinen Kurs erläutert habe. Reaktion sei ein abwehrendes »Raunen im Hintergrund« gewesen: »Man war der Ansicht, das meint der nicht so.«

Ein Grund für die Abwehrhaltung dürfte der schlechte Ruf sein, der mit Spitzenpositionen in Statistiken verbunden ist. Dazu passt, dass das Landeskriminalamt 2006 die Zählweise von Propagandadelikten änderte, wodurch sich die Fallzahlen halbierten. Weil das Ministerium angeblich nicht informiert war, trat kürzlich Frank Hüttemann als Direktor des Landeskriminalamts zurück.

Zur Dessauer Affäre hatte Hövelmann eine interne Untersuchung anstellen lassen. Sie kam zu dem Schluss, Glombitza seien keine Vorwürfe zu machen. Der Polizeivize ist inzwischen pensioniert. Gratzik arbeitet wie seine beiden gestern ebenfalls gehörten Kollegen nicht mehr beim Staatsschutz; er bat resigniert um Versetzung. Es passt ins Bild, dass er die Details seiner Versetzung ausgerechnet von einem Informanten aus der rechten Szene zuerst erfuhr.


Eine Serie von Pannen

Januar 2005: In einer Polizeizelle verbrennt der Flüchtling Oury Jalloh. Ein Polizist übersieht wohl ein Feuerzeug.

Juli 2005: In Zerbst rammt ein Neonazi einem Punk ein Bierglas ins Auge. Polizisten fahren den Täter zum Zug.

Juni 2006: In Pretzien wird ein Tagebuch der Anne Frank verbrannt, Polizisten kennen dessen Bedeutung nicht.

September 2006: Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter einer Dessauer Initiative gegen Rechts, der auf einer Bildungsveranstaltung das Foto eines NPD-Aktivisten zeigt.

Januar 2007: Brandanschlag auf eine Wohnung für Flüchtlinge in Sangerhausen. Fehler eines Staatsschützers machen Aussagen unbrauchbar.

April 2007: In einem Wald bei Wittenberg soll es Schießübungen einer Wehrsportgruppe gegeben haben; die Polizei kümmert sich angeblich kaum.

Juni 2007: Bei einem Fußballturnier in Wittenberg wird ein Deutschafrikaner geschlagen; die Polizei soll Hinweisen nicht nachgegangen sein.

Juni 2007: Schauspieler werden in Halberstadt verprügelt. Die Polizei lässt einen Haupttäter zunächst laufen, es folgen Ermittlungsfehler. Ein Polizeibeamter wird versetzt.

August 2008: Rechte überfallen in Burg vietnamesische Nachbarn. Die Polizei entfernt sich, weil Verstärkung verweigert wird. Die Vietnamesen flüchten; in ihrer Abwesenheit wird die Wohnung verwüstet.

November 2007: Nach einer Antifademo in Weißenfels werden junge Frauen verhaftet und im Intimbereich durchsucht.

Dezember 2007: Wegen geschönter Statistiken zu rechtsextremen Straftaten tritt LKA-Direktor Frank Hüttemann zurück.

HLA

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