Eine Ost-West-Rutsche beim Personal

Geplante Strukturreform beim DGB: Im Osten wird um die Präsenz in der Fläche gebangt

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Der DGB will seine Kräfte neu verteilen. Im Osten, wo die Gewerkschaften weniger Mitglieder haben, fürchtet man nun den Rückzug aus der Fläche.
Angst vor der Ausdünnung in der Fläche ND-Foto:
Angst vor der Ausdünnung in der Fläche ND-Foto:

Frankfurt oder Bautzen, München oder Halberstadt: Solche Entscheidungen könnten sich künftig stellen, wenn es um die Präsenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) geht. Die Organisation will ihre Kräfte neu verteilen – womöglich zu Lasten ganzer Regionen in Ostdeutschland. Dort, so ein Kritiker, bekomme die Gewerkschaftslandschaft »weiße Flecken«.

Auslöser für derlei Befürchtungen sind Überlegungen einer Arbeitsgruppe, die im Rahmen der »Initiative Trendwende« arbeitet. Diese strebt perspektivisch höhere Mitgliederzahlen an. Weil schnelle Erfolge aber nicht zu erwarten sind, geht man davon aus, dass Einnahmen und Ressourcen des DGB zunächst »weiter abnehmen werden«. An nötigen Kürzungen sollen die Regionen, die Vertretungen in der Fläche, »unterproportional« beteiligt werden. Sie sollen weiterhin »etwa die Hälfte der personellen Ressourcen« erhalten.

Der Teufel liegt aus Sicht ostdeutscher Gewerkschafter im Detail; schließlich wird der Erhalt der DGB-Regionalstellen an Kriterien geknüpft, die eine Gewichtsverteilung zu Ungunsten des Ostens bewirken. So sollen künftig die in der Regel mit einem Gewerkschaftssekretär samt Mitarbeiter(in) besetzten Regionalstellen für mindestens 40 000 Mitglieder zuständig sein.

Für etliche ostdeutsche DGB-Regionen wird das knapp. So fürchtet Sachsens DGB-Bezirksvorsitzender Hanjo Lucassen, drei von sechs Regionalbüros schließen zu müssen, und zwar die Filialen im Erzgebirge, in Bautzen und Zwickau. In Sachsen-Anhalt stehen zwei der vier Filialen zur Disposition. Zudem könnte dort wie in Thüringen die frühere DGB-Bezirksverwaltung zur Ader gelassen werden: Seit der Fusion mit den jeweiligen DGB-Nachbarbezirken in Hessen und Niedersachsen seien diese, so das Papier der Arbeitsgruppe, »überproportional besetzt und müssten verkleinert werden«.

Gewerkschafter im Osten sind über die Vorschläge alles andere als begeistert. Der DGB habe es dank der Büros bisher geschafft, die regional oft unzureichende Präsenz der Einzelgewerkschaften zu kompensieren, so Steffen Lemme, Landesvorsitzender in Thürin-gen. Zudem sei es gerade in länderübergreifenden DGB-Bezirken wichtig, in den jeweiligen Lan- deshauptstädten angemessen präsent zu bleiben, um die politischen Forderungen gegenüber den Landesregierungen artikulieren zu können. Diese hätten schließlich durch die Föderalismusreform zunehmende Kompetenzen. Es gehe »nicht um Konservierung von Strukturen, sondern um einen handlungsfähigen DGB«, sagte Lemme dem ND.

Auch in Sachsen plädieren DGB-Vertreter nachdrücklich dafür, in Regionen wie dem Erzgebirge oder der Lausitz weiter Flagge zu zeigen. Angesichts schwindender Mittel werden dabei schon jetzt neue Lösungen gesucht; so ist der DGB-Chef im Erzgebirge in Personalunion auch Regionalsekretär der Gewerkschaft ver.di. Solche Ansätze seien auch andernorts denkbar, sagt Lucassen, warnt aber im gleichen Atemzug vor einem »Rückzug des DGB aus der Fläche«.

Die Arbeitsgruppe weist derlei Kritik zurück. »Gewerkschaftsfreie Zonen« gebe es nicht in Ostdeutschland, sondern in manchen Branchen in den Ballungszentren des Westens, wo der Organisationsgrad teils unter zehn Prozent liege. Würden die Vorschläge der Arbeitsgruppe umgesetzt, stünde in Regionen wie Frankfurt (Main) oder München bald mehr Personal zur Verfügung, um solche »Potenziale« zu erschließen.

Solchen Überlegungen will sich Udo Gebhardt, DGB-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, nicht verschließen. Gebhardt mahnt zu einer gelassenen Debatte sowie mehr innergewerkschaftlicher Solidarität: »Wir müssen akzeptieren, dass andere noch weniger Personal haben«, sagte er ND. Eine verstärkte Kooperation zwischen Regionalbüros, wie sie in dem Papier als Alternative zur Fusion von DGB-Regionen angeregt wird, hält er in Sachsen-Anhalt für möglich.

Dagegen glaubt sein Thüringer Kollege nicht, dass eine »Ost-West-Rutsche beim Personal« sinnvoll ist. In Ballungsgebieten führe mehr Personal nicht unbedingt zur Gewinnung von mehr Mitgliedern. Hingegen lasse man Teile Ostdeutschlands künftig brachliegen.

Ob es beim DGB zum Kahlschlag kommt, entscheidet sich im Sommer. Zunächst wird das Papier bis März bei den Einzelgewerkschaften debattiert – einen Monat länger als ursprünglich vorgesehen. Dann soll der Bundesausschuss die Reform beschließen. Die dürfe nicht auf die unterste Ebene beschränkt bleiben, mahnt Lemme. Über die DGB-Bezirke und die Bundeszentrale schweige sich das Papier aus.

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