Kein Grund zur Zuversicht

Die preisgekrönte Rede von Oskar Lafontaine bei der Bundestagsdebatte über den Haushalt 2008

Die »Rede des Jahres 2007« hat nach Ansicht des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen Oskar Lafontaine gehalten. Ausgezeichnet wurde Lafontaines Debattenrede im Bundestag vom 12. September. Sie vereint, so die Begründung, »alle rhetorischen Vorzüge: argumentiert überzeugend, scheut nicht vor unpopulärer Kritik zurück, formuliert scharf, anschaulich und gibt den Benachteiligten in unserer Gesellschaft eine wirkungsvolle Stimme«. Besondere Glaubwürdigkeit gewinne die Rede dadurch, »dass sie eine unermüdlich schönredende Regierungsrhetorik mit der Wirklichkeit in unserem Lande konfrontiert«. Der Linksfraktions-Vorsitzende berufe sich auf soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und das Völkerrecht, betone den Anspruch auf Bildung für alle und fordere »nach inzwischen vergessener sozialdemokratischer Tradition, dass sich Leistung auch lohnen müsse«. Er beziehe sich also auf Allgemeinüberzeugungen und Werte, »ohne die keine Gesellschaft überlebensfähig ist, die aber in Deutschland mit bestürzender Schnelligkeit zerfallen und im politischen Handeln keine praktische Bedeutung mehr besitzen«, befanden die Tübinger Wissenschaftler. Leitmotivisch bewege sich der Redner am Motto »Deutschland hat allen Grund zur Zuversicht« der vorangegangenen Merkel-Rede entlang, »denunziert es Schritt für Schritt als Leerformel, spart nicht mit Beispielen, mit sarkastischen, auch witzigen Urteilen und bringt ein zentrales Element politischer Rede zur Geltung: humanes Engagement als Handlungsmaxime demokratischer Politik«. ND dokumentiert Lafontaines Rede leicht gekürzt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

»Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.« Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Erklärung zum Haushalt heute begonnen.

Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zustimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist »Deutschland«?

Verstehen Sie unter »Deutschland« auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu »Deutschland« auch die Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu »Deutschland« auch die Empfänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Und gehören zu »Deutschland« auch die 2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint, verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig von Zuversicht gesprochen haben?

Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitne...


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