Fünfparteiensystem etabliert sich

CDU verliert in Hessen bei den Jüngeren und bei den Frauen / Wulff profitiert von Personenbonus

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen beginnt die Ursachenforschung über das Abschneiden der jeweiligen Parteien. Die Analysen der Meinungs- und Wahlforscher zeigt dabei vor allem zwei eindeutige Trends: Die Linkspartei hat sich im Westen etabliert und die CDU in Hessen hat die Wahl vor allem bei den Jüngeren und den Frauen verloren.

Vielleicht wäre es für Roland Koch anders gelaufen, hätte er seinen Wahlkampf am Thema »Ebbelwoi« ausrichten können. Der sollte, so verlautete es Ende letzten Jahres aus den Stuben der EU-Bürokratie, künftig nicht mehr unter der Bezeichnung Wein verkauft werden dürfen. Die Pläne wurden von den Brüsseler Beamten schnell zu den Akten gelegt – und der hessische Ministerpräsident war eines Themas beraubt, das ihm wohl nahezu 100 Prozent Unterstützung gebracht hätte. So musste sich Koch in die Kriminalität flüchten – und geriet damit auf die schiefe Bahn. Verloren hat er nach den Analysen der Wahlforscher vor allem, weil ihm die Jüngeren und die Frauen die Gefolgschaft verweigerten; nur die über 60-Jährigen halten ihm noch die Stange. Die SPD punktete dagegen in allen Altersgruppen, liegt aber bei den Älteren nach wie vor hinter der Union.

Angesichts des Hauptthemas des hessischen Wahlkampfs – der Bildung – verwundert das nicht. Schul- und Hochschulpolitik rangierten in Umfragen vor der Wahl in der Wichtigkeit mit über 50 Prozent weit vor der Arbeitslosigkeit und der Kriminalität. Anders formuliert: Die CDU in Hessen erreichte mit ihrem ausländerfeindlichen, auf die Angst vor Kriminalität setzenden Wahlkampf nur noch ihr Stammklientel bei den über 60-Jährigen; die desolate Situation im Bildungssystem, so die planlose Einführung der verkürzten Gymnasialzeit (G 8), hat vor allem die Wählerinnen in Scharen von der Union weggetrieben.

Profitiert hat davon Andrea Ypsilantis SPD. In allen sozialen Gruppen gewann die SPD hinzu und überflügelte die CDU. Am größten ist der Vorsprung gegenüber der Union bei den Beamten (25 Prozentpunkte). Hätten nur die Frauen am Sonntag gewählt, dann könnte sich die hessische SPD zudem jetzt die schwierigen Koalitionsverhandlungen sparen: Eine Mehrheit der Wählerinnen favorisiert ein rot-grünes Regierungsbündnis, wohingegen die Männer sich deutlich für CDU und FDP aussprechen.

Weniger Probleme hatte die CDU dagegen in Niedersachsen. Zwar musste sie auch hier Verluste hinnehmen. Die gehen allerdings nicht auf eine Wählerwanderung hin zur oppositionellen SPD zurück, sondern darauf, dass es ihr nicht gelungen ist, alle ihre Wähler zu mobilisieren: 243 000 Wähler, die sich 2003 für die CDU entschieden hatten, blieben der Wahl fern.

Dass es dennoch für einen Wahlsieg der Union reichte, führen die Wahlforscher auf die Popularität des CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Christian Wulff zurück. Anders als in Hessen, wo programmatische Aussagen wichtiger waren als Personen, orientierten sich in Niedersachsen die Wählerinnen und Wähler hauptsächlich an den Spitzenkandidaten der Parteien. Die Mehrheit war hier zudem mit der Arbeit der schwarz-gelben Koalition zufrieden; eine Wechselstimmung wie in Hessen gab es nicht, weshalb auch die Wahlbeteiligung gering blieb.

Dass in beiden Ländern die Linkspartei auf Anhieb den Einzug in die Parlamente schaffte, kam zwar nicht überraschend, wird bei künftigen Wahlen aber noch für einige Überraschungen sorgen. Der Umbruch im Parteiensystem, der sich bereits bei der Bundestagswahl 2005 andeutete, hat sich bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen fortgesetzt. Politikwissenschaftler wie Eckhard Jesse von der Technischen Universität Chemnitz gehen davon aus, dass es in Zukunft ein Fünfparteiensystem geben wird – zu Lasten der SPD und mit der Linkspartei als Zünglein an der Wage bei künftigen Koalitionsverhandlungen.

Möglich machten das in Hessen nicht nur Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitslose – bei letzteren erreichte die Linkspartei 14 Prozent Wähleranteil –, sondern auch die Beamten, die zu deutlich mehr als fünf Prozent den Linken ihre Stimme gaben. Im idyllischen Cornberg im Nordosten Hessens müssen besonders viele Arbeitslose und/oder Beamte wohnen: 1614 Einwohner zählt die kleinste Gemeinde des Landkreises Hersfeld-Rotenburg – 13,3 Prozent Wählerstimmten für die Linkspartei.

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