Agitieren, agitieren

Im Kino: »Mein Bruder ist ein Einzelkind«

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Die französische Filmemacherin Agnès Varda drehte in den Siebzigern einen Film mit dem schönen Titel »Die eine singt, die andere nicht«. Es war ein Film über eine Frauenfreundschaft, über unglückliche Ehen und die Suche nach dem individuellen Glück, über heimliche Abtreibungen und die Atmosphäre der Zeit. »Mein Bruder ist ein Einzelkind« ist so etwas wie das italienische Gegenstück zu Vardas Zeitzeugnis, nur dass der Film von Daniele Luchetti die Zeitläufte im Spiegel einer Bruderbeziehung betrachtet – und drei Jahrzehnte später entstand.

Accio und Manrico (Foto: Verleih) könnten unterschiedlicher kaum sein. Was vor allem Accio, den jüngeren Bruder, zum gefühlten Einzelkind machen wird, sind die ideologischen Lager, die die beiden sich suchen: Manrico landet als begeisterter Kommunist in der Fabrik, in der sein Vater sich schon jahrelang abarbeitet, und lernt dort über den Härten von Arbeit und Ausbeutung seinen Charme politisch einzusetzen: Er wird zum Streikführer und Gewerkschaftsaktivisten. Accio ist jünger, studienbeflissener und schon aus Prinzip immer dagegen: Was sein großer Bruder macht, kann sein Ding grundsätzlich nicht sein, also sucht er sich eine eigene gedankliche Heimstatt, wird Priesterschüler, dann Faschist.

Es ist brüderliche Rivalität und ein angeborenes Rebellentum eher als tatsächliche politische Differenzen, was den jüngeren Sohn in die Arme einer Bewegung treibt, die anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende nicht die Salonfähigkeit hatte, die man ihr heute in Italien wieder zubilligt. Ein Freund, der echt italienische Tischdecken mit eingewebter Trikolore in Grün, Weiß und Rot auf Marktplätzen anpreist, ist das Bindeglied, der Ortsverband der faschistischen Partei zunächst eher schläfrig: Die Verkündung der Beitrittswilligkeit genügt, eine schriftliche Registrierung gibt es nicht, also muss Accio fortan jedem selbst erzählen, dass er verbriefter Faschist ist. Brüskiert damit nicht zuletzt Francesca (Diane Fléri), die neue und sehr bürgerliche Freundin seines Tausendsassas von Bruder, die Politik auch vor allem deshalb betreibt, weil das mit Manrico zu tun hat.

Stefano Rulli und Sandro Petraglio schrieben schon das Drehbuch zu Marco Tullio Giordanas vielfach ausgezeichnetem Mehrstünder »Die besten Jahre«. Regisseur Luchetti begann als Regieassistent von Nanni Morettis bitterbösen Zeitgeistsatiren. Und die Darsteller der rivalisierenden Brüder gehören zu den höchst gehandelten Jungdarstellern Italiens: Riccardo Scamarcio, weil seine dunklen Locken und blauen Augen auch ohne sein simmerndes Charisma höchst fotogen wären. Und Elio Germano, weil seine hagere, sommersprossige, nach italienischem Schönheitskodex bestenfalls unkonventionell zu nennende Gestalt ein echtes Schauspieltalent verbirgt. Das Ende ist tragisch: Die bleiernen Jahre der Siebziger verschonen niemanden, auch nicht die beiden agitierenden Brüder.

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