Unsicher, einsam, cool

»Wann stören wir uns endlich« im Ballhaus Ost

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Was machst Du an diesem Ort, an den ich gehöre und Du nicht?«, fährt der Mann in türkisfarbenem Hemd und schwarzer Weste einen anderen Mann an. Sekunden später zieht er zurück: »Ich bin weich. Ich bin lieb.« Doch jetzt erhebt der andere seinen Anspruch: »Das ist meine Insel, das ist mein kühlender Wind. Er weht nur für mich!«

Ein absurder Dialog, typisch für die Inszenierung »Wann stören wir uns endlich« im Ballhaus Ost. Performatives Konzert oder konzertante Performance nennen die Macher von urban-lies ihr 70-minütiges Stück, das sich mit den Unsicherheiten der modernen Welt beschäftigt, mit kurzen Begegnungen ohne Folgen, mit fehlgeschlagenen Beziehungsversuchen. Wie kann man seine eigene Existenz in Worte fassen, um sie dem anderen zugänglich zu machen? Spielerisch und mit Sinn für Alltagskomik tasten sich die fünf Performer an diese existenziellen Fragen heran. In neun Szenen begegnen sich Menschen, streiten und diskutieren, erzählen von Bekanntschaften in anderen Städten und aus ihrer Vergangenheit.

Beatrice Fleischlin als einzige Frau erinnert sich an ihre Kindheit auf einer Alm, auf der die Schafe Namen hatten, die Schweine aber nicht. Oder an eine Frau in Frankreich, bei der sie wohnte. »Für sie war das Tor zum Glück die Vergangenheit, die unendlich ist und weniger Angst macht als das andere Tor, das Zukunft heißt.« Meist spricht sie deutsch, fällt aber auch mal ins Schwyzerische oder Französische. Überhaupt Sprachstrukturen: Da wird mal rückwärts gesprochen, werden einzelne Silben voneinander getrennt und Buchstaben x-fach wiederholt, bis sich Sprache in sinnloses Gestammel verwandelt. Eine andere Szene entlarvt anhand eines Gewinnspiels, wie es täglich im Fernsehen läuft, typische Floskeln und Formeln – dummes Geschwafel. Der Moderator versucht, Begeisterung zu heucheln, mittendrin kommt seine schwangere Freundin an: »Ich glaub, es geht los!« »Na, dann nimm was, damit es sich verzögert, ich hab jetzt echt keine Zeit«, fährt der genervte Mann sie an.

Vereinzelung, Einsamkeit kommt auch in den Bewegungen der Protagonisten zum Ausdruck, die mal wie zufällig wirken, mal völlig absurd. Beatrice Fleischlin durchmisst in komisch großen Sprüngen den Raum, der bis auf Sofa, Tischchen und Mischpult vorne und ein glitzerndes Podest hinten vollkommen leer ist, ab und zu springt sie unvermittelt in die Luft. Lajos Talamonti rutscht immer wieder an derselben Stelle aus, windet sich wie ein Fußballspieler in Schreikrämpfen oder tut so, als sei nichts gewesen.

Begleitet werden die Szenen von Musik, mal elektronisch, mal jazzig mit Kontrabass, Bassgitarre und Synthesizer, ein Song kippt unvermittelt in kreischenden Punk um. Wortwitz bis Slapstick, Tiefsinn bis oberflächliches Gehampel vereint diese szenische Collage aus Bewegung, Musik, Worten und Blicken.

Einige Szenen hätte man ruhig etwas kürzen können, manche Reflektierungsversuche arten zur reinen Selbstbespiegelung aus, doch es gibt auch schöne Pointen, die die angestrebte Coolness der Gesellschaft trefflich entlarven. Ein etwas unfertig wirkendes Stück, doch eine Gruppe mit viel Potenzial.

Wieder heute und 22.-24.5., 20 Uhr, Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg; Tel. 69 56 95 24

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