Auf Dichters Rappen nach Karpurthala

Der Berliner Schriftsteller Rajvinder Singh sondiert die Lage in seiner alten Heimat Indien

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Rajvinder Singh wollte wieder einmal alte Heimat atmen. Und so machte sich der Berliner Lyriker auf den Weg nach Punjab, wo noch vor wenigen Jahren separatistische Terrorgruppen wüteten. Zuvor jedoch legte der enthusiastische Protagonist des multikulturellen Dialogs seinen vierten Gedichtband vor.

Rajvinder Singh, den bärtigen Sikh, der auf den Turban seiner Brüder verzichtet, muss man gehört haben. Schon im Alltagsgespräch ist seine Stimme melodisch sanft, sie wird liedhaft, wenn er seine Gedichte - etwa jene, die er als Stadtschreiber in Rheinsberg aufs Blatt warf - vorträgt. Und dann sein Gesang indischer Liebeslieder: Krishna, die Reize seiner Favoritin Raja lobend. Sikhs besingen Hindugötter? Ja, in Punjab ist es nicht unüblich, dass in einer Familie Sikh-Heilige und Hindu-Gottheiten zugleich verehrt werden.
Das lange Zeit gewaltfreie Spannungsfeld der nordindischen Kulturen empfand Rajvinder Singh stets als Reichtum - bis die Khalistan-Kämpfer, die einen eigenen Sikh-Staat errichten wollten, und später die militanten Kaschmiris eine neue Lage schufen. Singh kennt zwei der Brennpunkte der Gewaltorgien sehr gut: Amritsar, die heilige Stadt der Sikhs, wo Indira Gandhis Truppen den Goldenen Tempel stürmten. In Amritsar studierte er ebenso wie in Jammu, der Winterhauptstadt Kaschmirs, wo vergangenen Oktober der Teufel los war: Von Pakistan ausgerüstete Terroristen versuchten, das regionale Parlament in die Luft zu jagen - das Gleiche probierten sie kürzlich in Delhi.
»Es ist auch eine politische Reise«, sagte mir Singh vor dem Abflug, »ich möchte sehen, was in den letzten 20 Jahren in Indien geschehen ist«. Sein Verhältnis zu Indien hat durchaus mehrere Dimensionen, er selbst wurde dort in den 70er Jahren mehrfach verhaftet, musste emigrieren und fand schließlich 1981 in Berlin eine Zuflucht. Seine Heimatstadt Karpurthala in Punjab war ihm dennoch nicht fremd geworden - zumal sie ihm einen Literaturpreis verehrte. Nicht minder freute er sich nun auf Amritsar, weil dort nach der Veröffentlichung seiner ersten Gedichtsammlung »Raat Lammi Zindgi« 1975 jetzt wieder ein Lyrikband von ihm herauskam. Studenten der Guru Nanak Dev Universität trugen Verstreutes von ihm zusammen. Sein Kommentar: »Ein wunderbares Gefühl - wieder ein Buch in meiner ersten Muttersprache«. Nach wie vor liefert er einen kleineren Teil seiner lyrischen Produktion in Punjabi, »weil ich bestimmte Bilder nur in dieser Sprache zeichnen kann«. Aber Singh ist auch am Goetheinstitut in Mumbai (Bombay) zu Gast - ein deutsch schreibender Inder liest auf deutsch für ein indisches Publikum. »Das ist die neue Welt«, meint er, »egal, was Samuel Huntington über den Kampf der Kulturen noch sagen wird, egal, was ein bin Laden getan hat oder noch tun wird - wir Menschen kommen einander immer näher, das ist die Wahrheit. Nur wir wollen das nicht wahrhaben.«
Doch mit dem Näherkommen ist das so eine Sache. Auf dem Flug nach Indien kreuzt er die Routen der US-amerikanischen Bomber, die bis zur Stunde in Ostafghanistan ihre tödliche Fracht abladen. »Als Passagier habe ich keine Wahl - ich kann die Flugroute nicht vorschreiben, da fühle ich mich genauso ausgeliefert wie wir alle. Doch der Krieg gegen Afghanistan, und bald vielleicht gegen Irak oder ein anderes Land, ist immer wieder in meinen Gedanken - manche glauben, er ist notwendig, ich glaube, kein Krieg auf dieser Welt ist notwendig.«
Indien und Afghanistan sind kulturell einander sehr nahe, meint Singh, Für Babur, den ersten indische Mogul-Kaiser, sei Kabul eine der schönsten Städte der Welt gewesen. In den jüngsten Auseinandersetzungen in Afghanistan habe Indien die Nordallianz (»gewiss keine Engel«) gegen die Taleban unterstützt, weil Islamabad bei seinem Traum von Großpakistan, das auch Kaschmir einschließt, auf die »heiligen Krieger« Mullah Omars setzte. Singh, ein wenig resigniert: »"Der Feind meines Feindes ist mein Freund" - das Kindheitsmuster der Weltpolitik«.
Doch kurz bevor Rajvinder gen Karpurthala startete, stellte er in der Berliner Werkstatt der Kulturen noch schnell seine vierte Gedichtsammlung vor: »Vögel und andere Fische des Windmeeres«. Gegenüber den Vorgängern »Spuren der Wurzeln«, »Rheinsberger Rhapsodien« und »Ufer der Zeit« (alle zwischen 1996 und 1999 erschienen) ist das Repertoire seiner Sprachbilder größer geworden, ungewöhnliche Gleichnisse mit Augenzwinkern blitzen auf. Dabei drängelt sich Rajvinder nicht in den Exotik-Zug; der Banyanbaum ist der einzige Begriff in seinem »Windmeer«, der auf die alte Heimat verweist: »Wie ein Banyanbaum/sei ich gewachsen, sagen sie/auf einem Boden, der schwimmt/im trüben Dorfteich./Ich mag mein Leben/als eine Insel/eine schwimmende...«.
Sein Dichter-Ich umreißt Rajvinder in der »Windmeer«-Sammlung mit den Worten: »...bin nur auf gespanntem Bogen/ ein Wortpfeil/dialogsüchtig/zwischen Mensch und Mensch«. Dieses »dialogsüchtig« ist kein besonders poetisches, aber für Rajvinder ein sehr zutreffendes Charakteristikum. Seit Jahren gehört er zu den bekanntesten Protagonisten des multikulturellen Zwiegesprächs. 1992/95 moderierte er im Berliner Haus der Kulturen der Welt den »Dialog der Kulturen«, in den beiden letzten Jahren stellte er im Brecht-Literaturforum »Die andere Stimme« vor, Autoren, die gleich ihm deutsch schreiben, aber nicht in Deutschland geboren sind. Zugleich engagierte er sich in Projekten gegen Fremdenhass. Aus Indien zurückgekehrt, wird er im Brecht-Haus eine neue Autoren-Reihe eröffnen...
Rajvinder Singh, Vögel und andere Fische des Windmeers, Lotos Verlag Roland Beer, Berlin 2001, 80 S...

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