Schwarzer Peter wandert zu Jagoda

Minister Riester bei PDS-Bundestagsfraktion

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Die aktuelle Affäre um die Bundesanstalt für Arbeit (BA) dominierte am Dienstag das lang geplante Gespräch zwischen Bundesarbeitsminister Walter Riester und der PDS-Bundestagsfraktion. Für tiefer gehende Analysen der Arbeitsmarktprobleme oder Visionen blieb dabei weder Zeit noch Raum.

Die Affäre um falsche Statistiken und geschönte Vermittlungszahlen bei der Bundesanstalt für Arbeit bestimmt derzeit jeden Auftritt von Bundesarbeitsminister Walter Riester - so auch das seit Anfang November geplante Gespräch mit der PDS-Bundestagsfraktion. Die brennenden Fragen wurden dem Minister am Dienstag in Berlin allerdings vor der Fraktionssitzung zwischen Tür und Angel gestellt: Ob er noch voll zum BA-Präsidenten, Bernhard Jagoda, stehe? »Das kommt darauf an, in welcher Frage«, entgegnete Riester und ging damit deutlich auf Distanz zu dem CDU-Mann, dessen Amtszeit er höchstpersönlich Ende des Jahres 2000 noch verlängert hatte. Bei der Vermittlung von Schwerbehinderten oder Jugendlichen durch das Jump-Programm habe sich Jagoda sehr engagiert, fügt Riester hinzu. Doch mit der Aufzählung rückte er eher noch mehr vom BA-Chef ab. In den nächsten Tagen will der Minister ein umfassendes Konzept zur Reform der der Bundesanstalt vorlegen. Eine offene Diskussion über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hatte es werden sollen - zwischen der PDS-Bundestagsfraktion und dem Bundesarbeitsminister, der seinerseits sogar schon vor November 2001 Gesprächsbereitschaft zu aktuellen Themen gegenüber den Sozialisten signalisiert hatte. Und die PDS selbst bot nun auch einen recht »großen Bahnhof« auf, zu dem unter anderem die Parteivorsitzende Gabi Zimmer und der Arbeitsminister in Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, erschienen waren. Um so erstaunlicher war es, dass grundsätzliche Fragen wie beispielsweise nach Chancen, die Zahl der Arbeitsplätze zu erhöhen, oder nach der Zukunft des zweiten Arbeitsmarkts, auf den Ostdeutschland noch immer angewiesen ist, eher moderat gestellt wurden. So fand Riester ein leicht zu bestellendes Terrain vor. Über das statistische Debakel bei der Nürnberger Bundesanstalt zeigte sich der Minister erschüttert: »Das ist ein katastrophaler Ausweis für den Umgang mit Statistik, aber auch für die Bundesanstalt insgesamt«, urteilte er. Noch erstaunter sei er gewesen zu erfahren, dass bereits am 17.September 1998 das Politik-Magazin Panorama über genau die Problematik berichtet hatte, die nun die Republik in Aufruhr versetzt. »Wenn ich das damals - zehn Tage vor der Bundestagswahl - erfahren hätte«, sagte Riester, »hätte ich das bestimmt als hervorragende Vorlage für den Wahlkampf genutzt«. Zweifel an dieser Darstellung, dass ihm dies nicht einmal zu Ohren gekommen sein soll, wies er zurück. Aber in der BA sei der Panorama-Bericht sehr wohl diskutiert worden - allerdings ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. PDS-Fraktionschef Roland Claus fühlte sich bei so viel Überraschtsein an den Herbst 1989 erinnert. Verantwortlich für die unplausiblen Vermittlungsstatistiken sei aber nicht das Bundesarbeitsministerium, erklärte Riester, denn weder seien Rechts- noch Dienstvorschriften verletzt worden. Der Bundesrechnungshof habe ja nicht einmal die durchaus streitbaren Kriterien der statistischen Erfassung gerügt, sondern deren Ausführung. Hierfür sei die Bundesanstalt mit ihrem Vorstand und den jeweiligen Ebenen verantwortlich. Wie diese Verantwortung derzeit hin und her geschoben werde, ist Riester zufolge »bedrückend und belustigend«. Der Kodex innerhalb der Arbeitsämter lautete bisher auch, »nichts nach außen gelangen zu lassen«. Nach diesem Vertrauensverlust zweifelt der Bundesarbeitsminister nun daran, dass die Bundesanstalt in der Lage ist, die Ansätze des Job-Aqtiv-Gesetzes umzusetzen. »Die mir von der BA-Spitze dargestellten Maßnahmen klangen zuerst plausibel. Ich bin aber sehr im Zweifel, ob das der Praxis der Arbeitsvermittlung entspricht.« Helmut Holter wies auf Ungereimtheiten im Job-Aqtiv-Gesetz hin. Völlig unklar sei beispielsweise, wer den Qualifizierungsanteil finanziere. Nächsten Montag wird Riester die Lage mit allen 181 Arbeitsamtsdirektoren in Nürnberg besprechen. Die Vermittlung von Arbeitslosen ist dabei nicht das einzige Problem. Zwar sei, so Riester, auch in diesem Bereich mehr Wettbewerb nötig, aber die Relation von derzeit rund 170000 durch private Dienste in Jobs gebrachte Arbeitslose zeige, dass Private diese Aufgabe nicht alleine schultern können. Unplausibel sei aber, dass gerade Arbeitsämter die zwischen 5000 und 10000 Euro teure Vermittlungserlaubnis für private Dienstleister erteilten. Diese Hemmnisse müssten ebenso abgebaut werden wie die 63Vorschriften, nach denen die Ämter einen Arbeitslosen vermitteln sollen. Strukturelle Reformen tun auch not, wenn Hunderttausende von Menschen um die BA in Qualifizierungsprojekten, in Träger- oder Beschäftigungsgesellschaften arbeiteten, deren Hauptinteresse aus ökonomischen Gründen vor allen darin liege, diese Strukturen und damit ihre eigene Existenz zu erhalten. Immerhin fließen jährlich rund 22 Milliarden Euro als Unterstützung in diesen Bereich. Auf die Warnung von Roland Claus, die Arbeitsförderung nicht schlechthin in Frage zu stellen, entgegnete Riester: Die Mittel hierfür seien nicht heruntergefahren, sondern nur zu Gunsten von Qualifizierung umgeschichtet worden. Doch auch hier gibt es offenbar unterschiedlichen Wissensstand, denn allein in Schwerin und Rostock sollen, wie dem Minister verdeutlich wurde, die ABM-Stellen um über 40 Prozent im sozialen Bereich zurückgegangen sein. Dass vor allem die geringe Unternehmensdichte im Osten, die nur ein Viertel des Westens ausmacht, für den Mangel an Arbeitsplätzen verantwortlich sei, unterstrich die Vizevorsitzende Christa Luft. Zudem hätten 80 Prozent der Betriebe im Osten nur zwischen einem und neun Beschäftigte und seien chronisch von Insolvenz bedroht. Für Luft sind dies die »grundlegenderen Fragen« - ohne die BA-Probleme kleinreden zu wollen. Und warum, so die Haushaltsexpertin, ist es nicht möglich, solche Firmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, die offene Stellen nicht den Arbeitsämtern melden? Wie lange wolle sich die Regierung - auch im »Bündnis für Arbeit« - von den Arbeitgebern noch anhören, dass in diesem Lande 1,5 Millionen Stellen unbesetzt seien, wo die BA nur 300000 habe? Doch Zwangsmaßnahmen hält Riester für wenig wirksam. Seine Idee: Die Arbeitsämter müssten zu attraktiven Vermittlungsstellen werden. Wie schwer realistische Konzepte zu erarbeiten sind, zeigte sich bei den von den Sozialisten diskutierten Sofortmaßnahmen zur Schaffung von 300000 Arbeitsplätzen. Diese möchte die PDS durch eine kommunale Infrastrukturoffensive sowie ein Programm zur Beschäftigung von Arbeitslosen über 55 Jahre erreichen - und so hatte Fraktionschef Claus es vor der Fraktionssitzung der Presse mitgeteilt. Später, in der Sitzung wurde indes klar, das dieses Vorhaben unrealistisch und bisher nur Diskussionsstoff ist. Denn hehre politische Forderungen müssen auch eine Chance auf Umsetzung h...

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