Trojaner in den Ministerien

Der gekaufte Staat – Die Machtstrukturen in unserer realen Demokratie

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, heißt es in Artikel 20, Absatz 1 unseres Grundgesetzes. Warum die BRD ein demokratischer Staat ist, wird in Absatz 2 ausgeführt: weil alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Die Staatsgewalt wird in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Soweit die Theorie. Wie die Praxis in realiter aussieht, legen die beiden investigativen Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto in ihrem empfehlenswerten Buch dar.

Linke kritisieren seit jeher, dass die Großkonzerne in diesem Land zu viel Einfluss auf die Politik haben und bei geplanten Gesetzten und Verordnungen versuchen, diese zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Diese als Lobbyismus bekannte Tätigkeit gibt es in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen. Es ist das Verdienst von Adamek/Otto präzise herausgearbeitet zu haben, dass jener mit Antritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 eine Dimension angenommen hat, die de facto die Abschaffung des oben zitierten Grundgesetzartikels bedeutet. Bis dahin waren Vertreter der Konzerne aus Industrie, Versicherungen und dem Bankenwesen »nur« über sogenannte Anhörungen in die Entscheidungsvorbereitung eingebunden. Ende der 90er Jahre wurden ihnen von der damaligen Regierung auch die Tore zu den Ministerien geöffnet und die Schreibtische, an denen normalerweise die dem Allgemeinwohl verpflichteten Beamten zu sitzen haben, bereitgestellt.

Adamek/Otto weisen nach, dass die sogenannten Leihbeamten, die sich die rot-grüne Bundesregierung in die Ministerien holte, ihr Salär weiterhin von den Konzernen beziehen und das ist nur konsequent, denn schließlich arbeiten sie nicht für das Allgemeinwohl, sondern ausschließlich im Interesse der Großkonzerne und ihrer unersättlichen Profitgier. Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion, bemerkt in einem Interview mit den beiden Autoren: »Die Regierung ist ehrlicher geworden. In unserer Demokratie regiert ja nicht das Volk, sondern die Wirtschaftsverbände, also kann die Regierung natürlich sagen, warum nehmen wir nicht gleich die Vertreter der Wirtschaft in die Ministerien.« Die Konzernvertreter ließen sich so eine Einladung natürlich nicht zweimal antragen. Auf allen politischen Ebenen, den Kommunen, den Ländern, vor allem im Bund und natürlich auch bei der Europäischen Union haben sie – allen voran Deutsche Bank, BASF, Siemens, SAP, Lufthansa, ABB, Daimler-Chrysler, VW – ihre U-Boote oder Trojanischen Pferde positioniert.

Das Buch macht zahlreiche, gravierende Fälle, in denen die Staatsgewalt, im Sinne des oben zitierten Artikels, an die Konzerne delegiert wurde, publik. Vom Fluglärmgesetz über die Legalisierung der Heuschreckenfonds, den Ausverkauf öffentlicher Projekte an Baukonzerne, das Energiewirtschaftsgesetz, die Gesundheitsreform bis hin zu milliardenschweren Investitionsprojekten wie der LKW-Maut, und natürlich, das in der Öffentlichkeit wohl bekannteste Beispiel, die verfassungswidrigen Hartz-Gesetzte – immer hatten die Großkonzerne ihre bezahlten Mitarbeiter in den Ministerien sitzen. In Hessen, so weisen Adamek und Otto nach, kontrollieren die Mitarbeiter des Flughafenkonzerns Fraport sogar bereits die Einhaltung des zumindest auf dem Papier stehenden Nachtflugverbotes. Wer wundert sich da noch, dass der Fluglärm ständig zunimmt?

Gesetze, die in Deutschland gelten, bedürfen zum überwiegenden Teil der Zustimmung durch die Europäische Union. Das wissen natürlich auch die Konzerne. Die Autoren gehen davon aus, dass mittlerweile 15 000 Trojanische Pferde in der belgischen Hauptstadt sitzen. Zum Vergleich: Im EU-Parlament sitzen 785 Abgeordnete. Auf jeden EU-Parlamentarier kommen also fast 20 Lobbyisten. Als Adamek/Otto den EU-Verwaltungskommissar Siim Kallas, der unter anderem für die Betrugsbekämpfung zuständig ist, mit ihren Rechercheergebnissen konfrontieren, verweist er sie darauf, dass die Mitarbeit der Privatkonzerne eine »deutsche Idee« sei.

Im Buch ist die Rede von 100 Vertretern deutscher Konzerne, die seit 1998 ihre Schreibtische in Bundesministerien bezogen, zwei von ihnen sogar im Rang eines Referatsleiters. Diese Zahl ist bereits überholt. Nach einer Untersuchung des Bundesrechnungshofes, den eine Sendung des Politmagazins »Monitor«, in der die beiden Autoren über eben diese Machtübergabe an die Großkonzerne berichteten, auf den Plan rief, sind es mittlerweile mindestens 300.

In Absatz 4 des eingangs zitierten Grundgesetzartikels heißt es: Gegen jeden, der es unternimmt, die demokratisch-rechtstaatliche Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand. Die Frage ist, wann fangen wir endlich damit an?

Sascha Adamek/Kim Otto: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selber schreiben. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 232 S., geb. 18,95 EUR.

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