Nur wer offensiv denkt, gewinnt

Experten loben das Niveau der EURO 2008 / Trend: Konter zu kontern

  • Thomas Häberlein
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Spieler stand Michel Platini stets für das Schöne im Fußball. Für kunstvoll orchestrierte Angriffe, für Tore. Womöglich hat ihm seine erste Europameisterschaft als UEFA-Chef deshalb so gut gefallen. Eine EURO, die ein Schaufenster war für offensiven Fußball. Eine EURO, bei der die Mannschaften, die nicht verlieren wollten, verloren. Andersrum formuliert klingt das so: Die Mannschaften, die Fußball mit einer positiven Einstellung spielten, haben gewonnen.

Es war kurz vor dem Viertelfinale, als Zinedine Zidane ins Schwärmen geriet. »Nach jedem Spiel denkt man, man hat das Schönste gesehen«, behauptete der ehemalige Weltfußballer. Zidane übertrieb: »Ein paar Begegnungen konnten die Erwartungen nicht erfüllen – etwa jene, an denen die Griechen mitwirkten.« Sie wollten zunächst einmal nicht verlieren. Oder das Viertelfinale zwischen Spanien und Italien (0:0 n.V./4:2 i.E.): Italien wollte zunächst einmal nicht verlieren – und spielte so schrecklich, dass selbst die Spanier Gefahr liefen, sich diesem Niveau anzupassen. Zum Glück gewannen sie.

Die wenigen Langweiler widersprachen ansonsten vielem, was zwischen Genf und Wien zu sehen war. Platini hatte sich schon nach der Vorrunde über einen »Genuss für die Fans« gefreut und von einem »qualitativ hochstehenden Turnier« gesprochen. Das stimmte durchaus, und es endete nicht, wie so oft bei großen Turnieren, mit dem Beginn der K.o.-Runde, in der die Mannschaften früher vor allem erst einmal nicht verlieren wollten. Das Gegenteil war die Regel – und in keinem Fall so offensichtlich wie in jenem Viertelfinale, in dem die Russen den Ball und die Niederländer laufen ließen.

Die UEFA hat auch bei dieser EURO eine technische Kommission eingesetzt, die ihr hinterher sagen soll, was sich so alles ändert auf dem grünen Rasen. Ein paar Dinge bekommt man aber auch mit, wer nicht über ein Tribünenadlerauge verfügt: Brutale Fouls gibt es kaum noch. Standardsituationen auch immer weniger. Das Tempo ist hoch – bisweilen extrem hoch. Zeitlupe ist etwas fürs Fernsehen – und die brauchen sie dort dringend. Auch die Deutschen wissen ja spätestens seit Jürgen Klinsmann, dass es nur mit Tempo geht. »Mit behäbigem Spiel hast du keine Chance«, weiß Bundestrainer Joachim Löw.

Der schottische Chefinspektor Andy Roxburgh und seine UEFA-Trendforscher sind so häufig fündig geworden wie schon lange nicht mehr. Weniger als 25 Prozent der Tore fielen nach »ruhenden Bällen« - wenig, wie Roxburgh verkündet.

Eine weiterer Trend ist, »Konter zu kontern«. Solche haben er und andere Spione wie Holger Osieck oder Gerard Houllier erkannt. »Es gibt den klassischen Konter aus der Abwehr heraus, und jetzt den Konter aus dem Mittelfeld, wo eine Gruppe von Spielern ausbricht und auf die Verteidiger zurennt.« Wer nachschauen will: Das 2:0 und 3:0 bei Spanien gegen Russland.

Dass das Tempo am Ende einer Begegnung scheinbar noch zunimmt, hat laut Roxburgh auch seine Gründe und war bereits in der Champions League so zu beobachten. »Die Leute halten ihr Pulver trocken. Die Trainer greifen spät ins Spiel ein, um den Ausgang zu beeinflussen, und ihre Entscheidungen haben einen enormen Einfluss oft erst am Ende der 90 Minuten. Daher kommt es zu dramatischen Schlussphasen«, behauptet er.

Bemerkenswert ist außerdem: Von den 76 Treffern bis zum Finale resultierte nur einer aus einem direkt verwandelten Freistoß – das 1:0 von Michael Ballack gegen Österreich. sid

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal