Hoffnung auf den Rutsch

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Autor ist Redakteur des ND. Zu seinen Themen gehören unter anderem Tierethik und Tierrechte.
Der Autor ist Redakteur des ND. Zu seinen Themen gehören unter anderem Tierethik und Tierrechte.

Menschenaffen könnten in Spanien bald Grundrechte genießen. Nach einem Beschluss des Umweltausschusses des Parlaments soll die Regierung in Madrid innerhalb eines Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Immerhin haben die regierenden Sozialisten selbst vor zwei Jahren die Initiative eingebracht. Ziel ist es, Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Zwergschimpansen aufgrund ihrer Verwandtschaft mit dem Menschen bestimmte Grundrechte einzuräumen. Die Partei machte sich damit die Forderungen des 1993 ins Leben gerufenen internationalen »Great Ape Project« zu eigen. Der Plan führte in Spanien zu heftigen Reaktionen. Während Amnesty International kritisierte, »dass den Affen Menschenrechte zugesprochen werden sollen, obwohl noch nicht einmal alle Menschen diese Rechte besitzen«, forderte die Zeitung »El Mundo«, man solle sich »in Spanien beim Tierschutz um näherliegende Probleme kümmern wie zum Beispiel um die Frage des Stierkampfes«.

Wer sich die drei Rechte ansieht, die den Primaten zugesprochen werden sollen, müsste indes verwundert sein, dass diese nicht schon längst zu den Selbstverständlichkeiten gehören. An erster Stelle steht das Recht auf Leben. Es besagt, dass Primaten nicht getötet werden dürfen. Zweites Recht ist das auf Freiheit. Danach dürfen Menschenaffen nicht in Zirkusarenen vorgeführt werden. Die Haltung in Zoos soll zumindest »zu rein kommerziellen Zwecken« verboten werden. Drittens soll für die Tiere das Recht auf körperliche Unversehrtheit gelten. So müssten Menschenaffen Schutz vor »Folter« erfahren und dürften nicht in Labors zur Forschung missbraucht werden.

Man sollte meinen, das Gesetzesprojekt wäre ohne allzu große Schwierigkeiten umzusetzen. Menschenaffen gehören schließlich nicht zu den klassischen Nahrungsmitteln, Zirkusse und Zoos könnten auch ohne sie bestehen und im Versuchstierbereich spielen sie eine marginale Rolle. Dass das Primaten-Projekt dennoch inner- wie außerhalb Spaniens auf Kritik und Widerstand stößt, dürfte wohl eher in der Furcht vor einem »slippery slope« begründet sein, einem glatten Abhang, der ethische Prinzipien ins Rutschen bringt, mit denen sich die Mehrheit bequem eingerichtet hat. Denn mit welcher Begründung ließen sich eigentlich die drei Grundrechte Leben, Freiheit und Unversehrtheit, würde man sie einer bestimmten Spezies gewähren, anderen Spezies vorenthalten? Wieso werden einem Gorilla oder Schimpansen derartige Rechte eingeräumt, während ein an Leidensfähigkeit, Sozialität und Intelligenz diesen Primaten kaum nachstehendes Schwein als Ferkel grausam verstümmelt wird, als Sau in isolierter Enge vegetieren muss, um schließlich in einer Massentötungsanlage verhackstückt zu werden?

Oder – um in Spanien zu bleiben – mit welcher Berechtigung darf dann ein Stier in die Arena gejagt werden, um zur Belustigung einer johlenden Menge zu Tode gequält zu werden? In Deutschland, wo der Tierschutz im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft soeben weitere 1,2 Millionen Euro für Versuche mit Affen an der Universität Bremen bewilligt.

Rechte für Tiere könnten in einer Gesellschaft, die sich tagtäglich auf übelste Weise der Tiere »bedient«, das Signal für einen kulturellen Paradigmenwechsel setzen, der am Ende den Tierausbeutungskomplex träfe. Genau das ist die große Furcht. Und die große Hoffnung.

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