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  • Heute beginnen in Peking die XIII. Paralympischen Spiele

Ganz normal anders

Mehr Fairness, weniger Kommerz: Paralympia will sich abheben

  • Klaus Weise
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass es heute im Nationalstadion von Peking eine grandiose Eröffnungsfeier der XIII. Sommer-Paralympics zu erleben gibt, ist nicht schwer vorauszusagen, nach all dem Glanz zuvor bei den Spielen der »Fußgänger« (so nennen die behinderten Athleten die Sportler ohne Handicaps). Sir Philip Craven, einst Rollstuhlbasketballer und jetzt Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), spricht von einem »Meilenstein der Geschichte der paralympischen Bewegung«. Der Brite will die zwölf Tage mit Wettkämpfen in 20 Sportarten nicht abwarten, um zu urteilen: »Ich bin davon überzeugt, dass wir die besten Spiele aller Zeiten erleben.«

Ein Statement, das ohne China-spezifisches »Wenn und Aber« auskommt. Craven meint, dass das sportliche Kräftemessen von Menschen mit Behinderung aus dem Schatten Olympias herausgetreten ist: Schritt für Schritt, gegen Widerstände – aber unaufhaltsam.

Dabei ist die paralympische Geschichte noch jung. Ein Deutscher war Geburtshelfer der Spiele. Der Neurologe Sir Ludwig Guttmann, als Jude 1939 vor den Nazis nach England geflohen, initiierte 1948 die »Stoke Mandeville Games für gelähmte Kriegsveteranen«. Am 28. Juli wurden sie – symbolisch zeitgleich mit den Olympischen Spielen in London – eröffnet. Daraus wurden später Weltmeisterschaften für Rollstuhlsportler, 1960 schließlich die »Weltspiele der Gelähmten«, die heute als Paralympics-Premiere gelten. 1976 kamen Amputierte, Sehgeschädigte und Blinde, 1980 zerebral Bewegungsgestörte (durch Fehlfunktion der Hirnzellen) und die Gruppe der Les Autres (»Die Anderen«) dazu, die keiner der zuvor genannten Behinderungen zuzuordnen ist. Der Versuch, mental Behinderte einzubinden, wurde nach 1996 und 2000 wieder aufgegeben, nachdem Spaniens Basketballer mit dubiosen Klassifikationen in Sydney siegten.

Diese Einordnung der Athleten in Startklassen (früher Schadensklassen), die Chancengleichheit garantieren soll, ist umstritten. Jede Behinderung ist individuell, schafft unterschiedliche Bedingungen. Zugleich war das IPC gezwungen, mehr Übersicht in die Wettkämpfe zu bringen. Schließlich sollten Zuschauer die Wettkämpfe verstehen.

Das geschieht seit einiger Zeit über ein Punktsystem, das sich an den Weltrekorden ausrichtet – mit entsprechenden Tücken. Die deutsche Werferin Marianne Buggenhagen, vom achten Brustwirbel an abwärts gelähmt und ohne Hüftfunktion, muss etwa gegen Kontrahentinnen antreten, die bis zur Hüfte voll beweglich sind. Mit der Kugel kein Problem, im Speerwurf raubt ihr das die Siegchance. Dazu kommt, dass die Weltrekorde unterschiedlicher Güte sind. Plötzlich liegen Athletinnen mit schlechteren absoluten Leistungen vorn. Eine Siegerin mit Vier-Meter-Weite, die Dritte mit acht Metern – dem Zuschauer ist das schwer vermittelbar. »Dieses Modell kann nicht das Ende der Fahnenstange sein«, sagt Buggenhagen.

472 Goldmedaillen in den 20 Sportarten – zu denen mit Boccia, Goalball, Rollstuhl-Rugby drei Disziplinen gehören, die es bei Olympia nicht gibt – werden in Peking vergeben. Das Gros der Goldenen, auch die Voraussage ist nicht schwer, wird an die Gastgeber gehen, die in Athen 2004 die Nationenwertung für sich entschieden.

Auch Paralympia, das sich als Fairplay-Spiele ohne überbordenden Kommerz von Olympia abheben will, ist nicht dopingfrei. Je größer die Pfründe, desto größer die Versuchung. Gerade dort, wo ohne Hilfsmittel Behinderungen nicht zu kompensieren sind, ist längst eine Art »Wettrüsten« um das beste Know-how entbrannt, bei dem sogar Raumfahrtmaterialien zum Einsatz kommen – jedenfalls bei denen, die sie sich leisten können. Holzbeine und Lederprothesen gibt es nicht mehr bei Paralympics. Dafür hydraulisch, pneumatisch oder elektronisch gesteuerte Gelenke, Dämpfungselemente aus Karbonfasern, Silikon- und Geleinlagen. Neben hartem Training und Talent sei, so liest man, »auch der Ideenreichtum der orthopädischen Werkstätten eine entscheidende Erfolgsgröße«.

Die Firma Otto Bock (Duderstadt), Weltmarktführer im Bereich Prothetik und mit dem IPC per Kooperationsvertrag verbunden, kann das mit Zahlen belegen. 1988 hatte man vier Techniker nach Soul geschickt, jetzt sind es 136 aus 31 Ländern, die die Athleten in der Zentralwerkstatt und in 13 Servicestationen unterstützen.

Alles in allem sind die Paralympics, verglichen mit dem »Fußgänger«-Spitzensport, »ganz normal«. Und das ist auch gut so. Aber sie sind, das macht ihre Faszination zu einem guten Teil aus, auch anders. Was genauso gut ist. Ganz normal anders.

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