Brandt? Links, frei – und raus!

Die SPD und eine Ära, die ein Erratum war. Aber gibt es wirklich eine Zukunft?

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Brandt? Links, frei – und raus!

Man hat das Gefühl, sehr lange nichts mehr von Angela Merkel gehört zu haben. Dies ist (nur) eine gefühlte Wahrheit. Fantasie platziert die Kanzlerin, vielleicht als eine heiter Ermattete, zwischen geleerte Sektkelche. Wie es eben so ist nach ausgiebigen Freudenfeiern im engen Kreis. Denn die Kanzlerin – es kann nicht anders gewesen sein! – feierte bestimmt die SPD. Denn wer wirklich glaubt, Herr Steinmeier werde sich demnächst als erfolgreicher, auratischer Wahlkämpfer erweisen, der vermutet wahrscheinlich auch, Berti Vogts sei noch immer der bessere Nationaltrainer als Klinsmann und Löw zusammen.

Bei den Sozialdemokraten sprechen einige, den Rücktritt Becks betreffend, von Intrige. Das klingt nach einem geistigen Eingriff, vielleicht sollte man aber eher von Sabotage sprechen und handwerklich werden: Jemand hat das Tor, das die SPD fortwährend in die Zukunft aufstößt, heimlich mit einer Drehtür ausgewechselt. Fortwährend weht es den wieder hinaus, der gerade erst, als Spitzenkraft, hereingekommen war. Am Ende wird’s wohl nur Struck aushalten. Der hält alles aus. Offenbar sogar sich selber. Vielleicht sieht er sich nie im Fernsehen.

Als Müntefering den Vorsitz der Partei abgab, durfte man von einem Anfall von Entschiedenheit sprechen – bei dem freilich gefragt werden musste, was den Politiker 2006 mehr zum Abschied bewog: das Kalkül oder ein Rest von plötzlich durchschlagendem Charakter. Müntefering kam möglicherweise einfach nicht mit dem Schicksal klar, den Ex-Kanzler Schröder überleben zu müssen. Selten schafft von einem Duo einer die Solokarriere. Herricht und Preil. Siegfried und Roy. Nicht der Tiger, Andrea Nahles hatte zugebissen. Plötzlich war ja Müntefering der einzige Gewinner der verlorenen Wahl: Vizekanzler! Und zugleich doch aber der große Bestrafte, beladen mit der Last einer nahezu katastrophal schwierigen Aufgabe, die von nun an jeden plagte, der sich im Spitzenkreis der SPD versuchte: weiterhin radikaler Reformer zu sein und doch gleichzeitig einer SPD nach Schröder eine neue Idee schaffen zu müssen. Jeder Vorsitzende dieser Partei muss inzwischen prägend das Programm gewordene Dilemma der Sozialdemokratie verkörpern: den Stand zu wahren zwischen Traditionalisten des Wohlfahrtsstaates und Rationalisten der Deregulierung, zwischen Milieutreue einerseits und Offenheit für die Realität des allseits Wechselhaften andererseits. Es ist dies das prinzipielle Problem, das Volksparteien in Parteien wandelte, die so sind, wie das Volk ist. Wie das Volk sein muss. Wähler und Gewählte verurteilt zur Flexibilität – die am Ende form- und ausdruckslos macht. Und bei Wahlen Patts schafft.

Wie soll das gehen: Frustrierten und Abgehängten ein guter Gerechter sein, den Leistungsträgern aber ein harter Sanierer? Zweischneidigkeit als Ethos. Das alles für die größte Umwälzung, an der die Sozialdemokratie beteiligt ist: Was oben ist, bleibt oben – was unten ist, sinkt nur tiefer. Für solche Politik bedarf es nicht der Charaktere, wie sie einst die Politik ausmachten. Die Zeit der Glaubwürdigkeit ist vorbei, und: Die Personaldecke ist dünn. Sie ist immer dünn. Bezeichnend: Auch die Ochsentour hat ihren Ruf verloren. Sie ist nur noch die Völkerwanderung der zweiten, dritten Reihen. Vorn aber sitzen die Alten und behaupten, sie bereiteten gerade den Generationenwechsel vor. In der Hoffnung, sie überstehen ihn. Hatte man je das Gefühl, Beck oder Steinmeier seien noch nicht alt?

Deshalb, auf Grund der Strukturen, kann schon jede Personalfrage, die einen Politiker unvorbereitet heftig und emotional reagieren lässt, so wie es jetzt Beck tat, das Gebäude zum Stürzen bringen. Bei der SPD ist es freilich anders: Man sitzt schon in einigen Trümmern.

Trotzdem: Wir leben in Zeiten, in denen der Rückzug eine größere Courage ausstrahlt als der Antritt eines Postens. Beck wirkte oft komisch, ungelenk, und er hatte trotz ähnlicher Statur nie das geniale Talent eines Helmut Kohl: sich auf keinen Fall in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.

Beck wird wohl als SPD-Vorsitzender nicht wiederkommen und damit seine eigentliche Bewährungsprobe bestehen – die darin besteht, von einem Rücktritt nicht wieder zurückzutreten. Erfolgreiche Wiederholungstäter, welcher Partei auch immer, wirken stets wie Akrobaten einer wohlfeil selbstbezogenen Absicherungstechnik. Untem Aspekt, dass Müntefering wieder anschnallen will, wächst der Traum von den wahren Helden eines Wechsels: Im Bundestag sitzen mehr und mehr Abgeordnete, die ihrer höheren Posten entledigt sind. Stille Hinterbänkler als wahre Volksvertreter.

Die turbulente Woche der SPD nach der Ära Beck, die ein Erratum war, hatte schon in den ersten Worten, die Steinmeier als Hoffnungsträger sagte, ihren Wahrheitskern gefunden: Der Sieg des Kapitalismus ist nicht nur der Sieg seiner ökonomischen Kräfte, es ist auch ein Sieg der Angst, jede weit greifende Veränderung könne das Leiden an der rasend stillstehenden Zeit nur vergrößern. So wie links die Hochmut riss, Zukunft am Reißbrett planen und Gesellschaft »machen« zu können, so ist auch der konservative Glaube geplatzt, man könne im Namen höherer westlicher Werte Leitkulturen wie Grenzdraht festzurren. Dazwischen grinst Globalisierung auf ihrem Weltfeldzug, so, wie Sieger grinsen. Willy Brandt würde wohl wegen erwiesener Unverträglichkeit mit der modernen Sozialdemokratie posthum aus der SPD ausgeschlossen. Denn er schrieb in seinen Erinnerungen »Links und frei«: »Aus meiner frühen Jugend habe ich das Verlangen mitgebracht, dass die vielen, und nicht nur die wenigen, am Tisch der Gesellschaft Platz haben müssen ... Es bleibt die Aufgabe, die Demokratie sozial, wirtschaftlich und kulturell auszudehnen ... Und es bleibt als Kern allen sozialistischen Strebens die Idee einer klassenlosen Gesellschaft, die die ökonomische und politische Unterdrückung hinter sich gelassen hat.« Das klingt wieder utopisch in Zeiten, da der emanzipatorische Gedanke grundsätzlich in Frage gestellt ist und jenes so analytische Instrument preisgegeben wurde, mit dem privilegierte Verfügungsstrukturen über die Gesellschaft erkannt, eingeschränkt und überwunden werden können. Auch in der SPD wurde ja, gegen die eine eigene gesellschaftskritische Tradition, viel von der Ideologie gesellschaftlicher Gegenspieler übernommen; dies zielt gefährlich ins Herz einer Partei, die doch in ihrem Namen das Ziel der Milderung und Überwindung demokratisch nicht legitimierter sozialer Herrschaft enthält.

Man wird, auch dank Steinmeier, bald wieder mehr und länger von Angela Merkel hören, als manchem lieb sein mag.

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