Nicht länger alleine

Jung und Alt wohnen in Städten häufiger gemeinsam

  • Isabel Fannrich-Lautenschläger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ihre Wohnung steht schon zum Verkauf. Lange genug hat Elenore Gast (59) allein am Stadtrand von Berlin gelebt. Jetzt sucht die pensionierte Krankenschwester ein Wohnprojekt mitten in der Stadt, in dem sie mit anderen Menschen leben und »füreinander da sein kann, wenn es einem schlecht geht«, wie sie es formuliert: »Wenn das Haus wirklich toll ist, würde ich auch mit Jüngeren dort einziehen.« Wie ihr geht es vielen.

Im Jahr 2050 wird nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes knapp ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 sein. Und immer mehr Menschen suchen im Alter eine Alternative zum Heim und zum Alleinsein. Doch auch Jüngere wollen mehr Gemeinsamkeit: Familien wünschen sich eine Entlastung bei der Kinderbetreuung und Ersatz für weit entfernt lebende Großeltern, Singles ein lebendiges Haus.

Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin werden familiäre Lebensformen »immer mehr durch das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Alters in ›Wahlverwandtschaften‹ abgelöst, die sich vor allem an gemeinsamen Interessen und Lebensstilen orientieren«.

Jetzt hat Berlin die Bedeutung solcher Wohnprojekte erkannt. Seit dem Frühjahr finanziert der Senat die Beratungsstelle »Netzwerkagentur GenerationenWohnen« mit 400 000 Euro. Städte wie Hannover oder Hamburg sind der Hauptstadt jedoch weit voraus: Schon in den 80er Jahren hat Hamburg ein Projekt für Jung und Alt gefördert, heute räumt die Hansestadt Baugemeinschaften besonders zinsgünstige Kredite oder lange Planungsfristen vor dem Grundstückskauf ein. Interessenten wie Elenore Gast können sich in Berlin über eine Datenbank auf die Suche nach Gleichgesinnten machen.

»Die meisten wollen zur Miete wohnen und wünschen sich eine soziale Nachbarschaft«, weiß Constance Cremer von der Berliner Netzwerkagentur. »Häufiger suchen die Älteren die Jüngeren als umgekehrt.« Wer hier anklopft, hält nicht nur Ausschau nach weiteren Mitstreitern. Gesucht werden ein passendes Grundstück oder Informationen über bauliche Fragen. Egal, ob zur Miete oder im Eigentum. Ideen der Interessenten für Wohnprojekte gibt es viele: einen Pflegedienst im Haus ansiedeln, Gemeinschaftsräume und Spielplätze schaffen. Elenore Gast wünscht sich ein kleines Hallenbad und einen Gymnastikraum: »Wenn es so etwas nicht gibt, werden die alten Leute krank.« In Lichtenberg wird derzeit eine ehemalige Kita umgebaut, in Friedrichshain entsteht ein »KlimaSolarhaus« mit Eigentumswohnungen. »Es gab ganz schnell einen Riesenandrang«, erzählt Initiator Christoph Hackbart (53). »Wir haben nicht gesiebt. Das Haus hat sich von oben nach unten gefüllt in einer glücklichen Mischung von Altersstruktur und Berufen.«

Ohne Probleme läuft es zwischen Jung und Alt allerdings oft nicht ab. »Zu Beginn sind alle euphorisch«, erzählt Aino Simon. Die 29-Jährige plant mit Mann und Kind den großen Coup: ein generationenübergreifendes, ökologisches und sozial integratives Wohnviertel auf einem ehemaligen Bahngelände in Kreuzberg mit mehr als 300 Wohnungen. »Am Ende aber wollen doch nicht alle in der gemeinsamen Waschküche waschen«, glaubt sie. Und genau das sei die größte Falle eines Wohnprojekts: wenn der Wunsch nach Privatheit und Rückzug nicht genug respektiert werde. Elenore Gast hingegen weiß, worauf sie sich einlässt. Sie ist in einem Drei-Generationen-Haushalt groß geworden. Toll habe sie das gefunden, erzählt sie. Aber mit 16 wurde ihr die Bevormundung der Alten zuviel. Sie zog aus. epd

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal