Abenteuer wahres Leben

Sherko Fatah springt in den Kopf eines Fremden

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 4 Min.

Mir hat Ihr Buch sehr gut gefallen«, gestehe ich dem Autor bei einer Begegnung in Berlin. »Das scheint auch anderen so zu gehen«, antwortet er bescheiden erfreut. »Man hat Sie nominiert für den Deutschen Buchpreis, ich werde Ihnen die Daumen drücken.« Sherko Fatah lächelt. »Das ist gut, tun Sie das.«

Er wirkt zurückhaltend, dieser Erzähler, der einen mit seinen intensiven, drastischen Beschreibungen auch ganz schrecklicher Situationen in seinen Bann zieht. »Das dunkle Schiff« ist die Geschichte des alevitischen Irakers Kerim. Der übergewichtige Sohn eines mäßig gläubigen aber den Schein wahrenden Kochs übernimmt nach dem Tod des Vaters sein kleines Restaurant, schließt sich nach der US-Invasion 2003 jedoch der Guerilla an. Seine Taten und Erlebnisse als »Gotteskrieger« erfährt der Leser erst im dritten und letzten Teil des Buches, als Kerim bereits in Berlin lebt und – vielleicht – Sonja liebt. In der Auseinandersetzung mit seinem Onkel und anderen Immigranten in der deutschen Hauptstadt lässt Kerim die Erinnerung zu an das, was auch durch seine Schuld einst geschah. Eine Lösung aber bietet der Autor für seinen Protagonisten ebenso wenig an, wie für Tony, den blinden Passagier im Schiffsbauch, der im zweiten Teil des Romans zusammen mit Kerim übers Meer ins – vielleicht – rettende Europa flieht. Es ist eine Reise in düsterer Unsichtbarkeit in diesem titelgebenden dunklen Schiff. Düster wie das Schicksal. Es sei denn, man nähme es selbst in die Hand.

Sherko Fatah, 1964 in der DDR-Hauptstadt geboren und 1975 nach Westberlin übergesiedelt, Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen, liebt die vielschichtige Erzählung und die Op-tion unterschiedlicher möglicher Fortsetzungen. »Das dunkle Schiff« hat kein Ende im traditionellen Sinn. Einladung an den Leser, die Geschichte(n) im Kopf weiterzuspinnen? Versprechen auf mehr Bücher des bereits in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Autors?

Sherko Fatah thematisiert die großen Fragen unserer Zeit – Gesellschaft, Politik, Krieg, Konflikt, Religion, Terror, Angst – in der Person des Individuums, das einen manchmal durch seine Getriebenheit geradezu nervt. Kerim könnte es anders machen, denkt man hier und da. Doch er tut es nicht. Er überlässt sich seinem Schicksal. Leicht gesagt: Ich wäre stärker. Ich machte es anders. Ist das so?

Fatah hält dem Leser einen Spiegel vor. Ohne jede Arroganz. Mit einem fast scheuen Lächeln. Bereits in seinem ersten Buch »Im Grenzland«, für das er 2001 den Aspekte-Literaturpreis bekam, fügt sich Geschichte an Geschichte, ohne dass es eine beruhigende oder zufriedenstellende Lösung gäbe.

Der Autor studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Mag sein, dass sich dieser akademische Hintergrund in den mittelbaren und unmittelbaren Reflexionen seiner Protagonisten widerspiegelt. »In den Kopf eines Fremden zu springen« reizt Fatah. Die Welt aus der Sicht seiner Charaktere sehen, um den Leser mit der ungewohnten Perspektive des Blicks von innen, der von außen kommt, zu konfrontieren.

Sehr gekonnt schreibt der Mann, der die Multiidentität im eigenen Ich trägt. Seine Sujets sind Irak, Iran, die Türkei (»Grenzland«), Algerien (»Donnie«), wieder Irak (»Onkelchen«, »Das dunkle Schiff«). Jedoch nicht als Platzhalter. Vielmehr als Ausdruck einer sich nähernden Distanz.

Sherko Fatah ist immer wieder in die Heimat seines Vaters gereist. Vieles ist ihm dort vertraut, vieles wird ihm immer fremd sein. Da ist nur bedingt eine Nähe, ein Zustand, den er bewusst respektiert. Das Leben im Westen steht gleichsam für ein Zuhause, das er als vertraut und doch fern wahrnimmt, weil es wiederum ihn immer wieder als fremd verortet. Exilliteratur ist ein Etikett, das man seinen Romanen gern verleiht. Diese Paradoxien narrativ aufzugreifen, nicht individualistisch zu verarbeiten, sondern zum Gegenstand letztlich ganz klassischer Abenteuergeschichten zu machen, ist eine Kunst, die Fatah hervorragend beherrscht.

Eine preiswürdige Kunst, ohne Frage.

Was böte denn mehr Abenteuer als die Realität? Was verhindert denn das Scheitern, wenn nicht Bewusstsein? Was beendet denn die Gewalt, wenn nicht Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit und der existenzialistische Schluss, sie dennoch nicht hinzunehmen? Es ist da nicht nur Angst, sondern auch Hoffnung.

Wie müsste das sein,
ein Buch, das die Welt verändert?

Wie müsste das sein,
ein Buch, das nicht endet
mit der letzten Seite,
sondern da gerade erst beginnt?

Volker Weidemann, Kritiker

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