»Die Global Player machen es uns schwer«

Die Großen werden zunehmend zum Problem für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten

  • Lesedauer: 6 Min.
Franz-Josef Möllenberg ist seit 1992 Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). In der kommenden Woche hält die 206 000 Mitglieder starke Organisation in Berlin ihren 15. Gewerkschaftstag ab. Über die Aufgaben, denen sich die NGG in den in ihr organisierten Branchen stellen muss, sprach mit dem Gewerkschafts-Chef ND-Mitarbeiter Günter Frech.
»Die Global Player machen es uns schwer«

ND: Herr Möllenberg, das derzeit vorherrschende Thema ist die Finanzkrise. Findet die ihren Niederschlag auf die Arbeit der NGG?

Franz-Josef Möllenberg: Die wachsende Bedeutung der Finanzmärkte beschäftigt uns seit Längerem. Die Hotelkette Hilton gehört zur Blackstone-Group, einem der größten Private-Equity-Unternehmen der Welt. Der Lebensmittel-Multi Unilever verkaufte seine Tiefkühlsparte Langnese-Iglo an Permira, ebenfalls eine Private-Equity-Gesellschaft. Es gäbe weitere Beispiele. Der Leitsatz solcher Unternehmen ist: »Schnelle Verwertung der aufgekauften Firmen.« Im Klartext: Arbeitsplätze und mittelfristige Innovationsstrategien kommen unter die Räder des Finanzmarktkapitalismus. Die extrem hohen Renditeforderungen gehen zu Lasten der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Bricht ihnen die kleine und mittelständische Betriebsstruktur weg und haben Sie es zunehmend mit Multis zu tun?

Die meisten unserer Mitglieder sind nicht bei transnationalen Konzernen beschäftigt. Mit Sorge beobachten wir allerdings den um sich greifenden Konzentrationsprozess in den von uns vertretenen Branchen. Die »global player« machen uns das Leben oft schwer. Ob Nestlé, Unilever oder Kraft Foods – ich habe den Eindruck, dass das nationale Management gar nicht mehr »Herr des Geschehens« ist.

Wird die NGG mit Standortverlagerungen erpresst?

Wie wollen Sie ein Hotel oder eine Kantine verlagern? Im Ernst: Im industriellen Bereich spielt das zum Teil eine Rolle. Hier sehen wir uns oft massiven Drohungen ausgesetzt. Die Suppe kann sonstwo eingetütet werden. Das ist auch so, weil für die Konzerne die Logistikkosten offensichtlich keine Rolle spielen. Wir beobachten aber auch, dass unter Gesichtspunkten wie Qualität, regionale Erzeugung und Logistikkosten hier und da ein Umdenken stattfindet. Und es gibt Unternehmen, die holen ihre Produktion wieder nach Deutschland zurück.

Die NGG ist die älteste deutsche Gewerkschaft und ihr Markenzeichen ist die dezentrale Tarifpolitik mit rund dreitausend Tarifverträgen. Bleibt das so?

Die NGG zeichnet aus, dass wir eine sehr mitgliedernahe Organisation sind und das auch bleiben wollen. Ja, es ist schwieriger geworden, die Menschen von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu überzeugen. Wir müssen jährlich zehn Prozent Mitglieder gewinnen, um unseren Stand halten zu können. Die Fluktuation in den Branchen – besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe – ist enorm hoch. Seit einigen Jahren haben wir Zuwachsraten zwischen 17 000 und 19 000, was nicht ganz den zehn Prozent entspricht. Deshalb haben wir ein leichtes Mitgliederminus. Im industriellen Bereich verlieren wir durch Beschäftigungsabbau Mitglieder.

Wo gewinnen Sie neue Mitglieder?

Im Bäckerhandwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe. Es gibt unterschiedliche Entwicklungen nach Betriebstypen. Zuwächse haben wir in der Systemgastronomie. Also bei McDonald's und BurgerKing. Auch in den Hotelketten steigt unsere Mitgliederzahl und wir bekommen immer mehr Betriebsratsstrukturen hin.

Aus ehemals 16 DGB-Gewerkschaften wurden acht – wie schafft es die NGG, eigenständig zu bleiben?

Dazu mussten wir unsere Strukturen verändern. Der Geschäftsführende Hauptvorstand wurde auf drei Mitglieder reduziert. Kleiner geht nicht. Und der Prozess der Verschmelzung von Landesbezirken wird im Jahre 2013 abgeschlossen sein mit dann fünf Landesverbänden. Innerhalb der Länder haben wir Verwaltungsstellen zu Regionen vereinigt. Das Sicherstellen der regionalen Betreuung der Mitglieder und Betriebsräte war der wichtigste Aspekt.

Die Fastfoodketten sind große Konzerne mit kleinen Betriebseinheiten. Wie funktioniert hier die Gewerkschaftsarbeit?

Es kommt immer auf die Belegschaft an, ob wir als Gewerkschaft etwas ausrichten können. Während der vergangenen Jahre hatten wir mehrere Konflikte in diesen Ketten. Nach sechs tariflosen Jahren konnten wir 2007 einen Tarifvertrag abschließen. Dass uns das gelungen ist, liegt auch an der Mindestlohnkampagne, die wir mit ver.di stetig vorantreiben. Die Mindestlohnkampagne ist für uns die Basis, um in einigen Branchen überhaupt im Tarifgeschäft sein zu können. So können wir den Beschäftigten auch deutlich machen, dass es einen Nutzwert für ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft gibt.

Der Geschäftsführer vom Berliner Edelhotel Adlon meint, wenn er Mindestlöhne zahlen muss, müsse er das auf den Zimmerpreis umlegen und dann bleiben die Gäste aus und er muss das Hotel schließen ...

Der weitaus höchste Kostenfaktor im Adlon sind nicht die Lohnkosten. Die höchsten Kosten sind die Abschreibungs- und Pachtkosten, die das Adlon an die Immobilienfirma zahlen muss, der das Hotel gehört. Neulich sagte mir der Manager eines Industriebetriebes, der im Adlon abgestiegen ist, er schäme sich für die Arbeitsbedingungen, denen die Beschäftigten ausgesetzt sind.

Die schärfste Waffe der Gewerkschaft ist der Streik ...

... und davon hat es während der vergangenen fünf Jahre so viele wie noch nie vorher in der Geschichte der NGG gegeben. Das waren oft regional begrenzte Konflikte oder auf einzelne Betriebe bezogene. Zwei Beispiele: unser Arbeitskampf beim Caterer GateGourmet am Düsseldorfer Flughafen – das Unternemen gehört dem Vermögensfonds TexasPacificGroup. Die Kolleginnen und Kollegen haben sechs Monate gestreikt, nicht weil sie mehr Lohn wollten, sondern weil ihnen der Arbeitgeber etwas wegnehmen wollte. Und in Franken haben wir in einer kleinen Brauerei mit 62 Beschäftigten zweieinhalb Wochen gestreikt. Um in einem solchen Familienbetrieb zu streiken, muss es schon ganz Dicke kommen und dazu gehört auch sehr viel Mut.

Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen sind aus den Schlagzeilen. Hat sich die Situation verbessert?

Es gibt kaum junge Menschen, die Schlachter lernen wollen. Das hatte zur Folge, dass sogenannte Kontingent-Arbeitnehmer aus Osteuropa angeheuert wurden. Grundlage der Beschäftigung waren die ortsüblichen Tarifverträge. Seit nun Ungarn, Rumänien und Polen Mitglieder der EU sind, werden die Arbeitnehmer im Rahmen von zulässigen Entsendungen beschäftigt und nach Gutdünken entlohnt – oft signifikant unter dem von uns geforderten Mindestlohn von 7,50 Euro. Derzeit beobachten wir, dass die Löhne ein wenig steigen. Das hat einen einfachen Grund: Viele Schlachter sind nach Großbritannien abgewandert, weil dort der Mindestlohn bezahlt wird.

In der Nahrungsmittelproduktion geht es nicht nur um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Richtet die NGG ihr Augenmerk auch auf Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher?

Wenn wir sagen, die Menschen sollen ihre Kaufentscheidung davon abhängig machen, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden, sind wir für Viele unpopulär. Güter, die nicht nur von guter Qualität sind, sondern auch unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten hergestellt werden, sind teurer. Die Reallohnsituation in unserem Land brauche ich nicht näher zu erläutern. Den Griff zum billigen Produkt verurteile ich nicht.

Sehen Sie einen Hebel, um aus dieser Falle herauszukommen?

Ganz einfach: Das Land braucht mehr Kaufkraft! Und einen Mentalitätswechsel. Dazu soll unter anderem die »Supermarkt-Initiative« beitragen. Die haben wir unlängst mit Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherverbänden, der IG BAU und ver.di ins Leben gerufen. Diese Initiative zielt in drei Richtungen: das Bewusstsein bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern schärfen; die Politik auffordern, der Marktmacht der Einzelhandelsketten und Discounter etwas entgegenzusetzen; und schließlich fordern wir, dass die Konzerne ihre Marktmacht nicht missbrauchen, indem sie die Erzeuger preislich in die Knie zwingen.

In diesem Land muss bewusster eingekauft werden. Ein Beispiel: Auf den Verpackungen hätten wir am liebsten einen Aufdruck mit dem Herstellungsort. Verbraucher werden bei »no name«-Produkten an der Nase herumgeführt. Da stehen irgendwelche Briefkastenfirmen auf der Verpackung.

Macht der Mindestlohn Produkte und Dienstleistungen teurer?

Nein! Ein direkter Zusammenhang besteht nicht. 7,50 Euro entspricht bei Vollzeitarbeit der offiziellen Armutsgrenze. Wenn überhaupt, dann wird der Gewinn geschmälert.

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