Ungeliebte Verwandte

Hessen: Alte Bekannte am Verhandlungstisch

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der hessische SPD-Landesparteitag jüngst mit sagenhaften 98 Prozent grünes Licht für eine von der LINKEN tolerierte Minderheitsregierung mit den Grünen gab, hielt es Delegierte und Vorstandsmitglieder nicht mehr auf den Stühlen. Vielen fiel ein Stein vom Herzen. Zuvor hatte Andrea Ypsilanti, Landeschefin und Ministerpräsidentin in spe, der hessischen Weichenstellung eine historische Dimension verliehen und den Mut zur Kooperation mit der linken Konkurrenz zum Sturz von CDU-Ministerpräsident Roland Koch in eine Reihe mit anderen »Tabubrüchen« der SPD gestellt: Ostpolitik, Atomausstieg und Bildung rot-grüner Koalitionen. Die Freudentränen in dem einen oder anderen Gesicht drückten nicht nur die Hoffnung auf ein Licht am Ende des Tunnels nach einer bald zehnjährigen CDU-Herrschaft im Hessenland aus – sondern auch die Hoffnung, die innerparteiliche »Eiszeit« der Ära Schröder endgültig hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen zu können.

Die Hessen-SPD, von Koch als der »am weitesten links stehende SPD-Landesverband« gegeißelt, war unter Schröders Kanzlerschaft einem enormen Anpassungsdruck ausgesetzt. So stimmte Ypsilanti bei einem SPD-Sonderparteitag im Juni 2003 für Schröders Agenda-Linie, während etliche andere Hessen Nein sagten. Eine Woche später diskutierten 250 Sozialdemokraten in Frankfurt am Main über die Bildung einer Anti-Schröder-Opposition in der Partei. Ypsilanti und andere prominente »Linke« blieben fern. Weil sich in der Runde niemand dafür hergab, einen linken Flügel in der SPD als Gegenpol zum Schröder-Lager ernsthaft zu organisieren, bahnte sich die tiefe Unzufriedenheit einen anderen Weg, der schließlich aus der SPD heraus zur Gründung der WASG und der Vereinigung mit der PDS zur LINKEN führte.

Für Ypsilanti war es besonders schmerzlich, dass der langjährige hessische DGB-Landeschef Dieter Hooge nach 40 Jahren SPD-Mitgliedschaft 2004 das Parteibuch zurückgab und die WASG mit aufbaute. Etliche Basis-Sozialdemokraten folgten ihm. In der WASG begegnete Hooge anderen Ex-Sozialdemokraten, darunter Werner Dreibus, Hermann Schaus und Manfred Coppik. Die Gewerkschafter Dreibus und Schaus hatten die SPD schon Anfang der 1990er aus Protest gegen den Asylkompromiss verlassen. Coppik, von 1972 bis 1983 SPD-Bundestagsabgeordneter, heute Vize-Landeschef der LINKEN, hatte sich 1999 wegen des NATO-Krieges gegen Jugoslawien zum zweiten Mal aus der SPD verabschiedet. So trafen Hooge, Coppik und Schaus viele alte Bekannte wieder, als sie jetzt mit den Spitzen von SPD und Grünen über die Duldung einer Minderheitsregierung verhandelten.

Noch ist Ypsilanti nicht gewählt, doch mit ihrem Anspruch, in Hessen die »soziale Moderne« zu verwirklichen, weckt sie große Hoffnungen. Wie sie diese Ansprüche angesichts heftiger Turbulenzen im real existieren Kapitalismus einlösen und die LINKE als externe Stütze einer Minderheitsregierung bei Laune halten kann, ohne die SPD-Rechte vor den Kopf zu stoßen, muss sich noch zeigen.

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