Ermittlungsrichter fordert Spaniens Regierung heraus

Sozialisten wollen Aufklärung der Franco-Verbrechen unterbinden

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Ralf Streck, San Sebastián

Der Ermittlungsrichter am spanischen Nationalen Gerichtshof, Baltasar Garzón, sorgt erneut für Furore. Er erklärte sich für zuständig, die »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« in der Franco-Diktatur zu untersuchen.

Baltasar Garzón will Licht ins Dunkel der Franco-Diktatur bringen. Der spanische Ermittlungsrichter hatte Anfang September verfügt, ein Register mit den Opfern zu schaffen, die nach dem Putsch 1936 und in den Zeiten der Diktatur ermordet wurden. Dabei soll es aber nicht bleiben, denn Garzón will nun auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufklären. Damit geht es nicht mehr »nur« um das Schicksal der »Verschwundenen«, die noch heute zu Zehntausenden in Massengräbern verscharrt liegen.

Garzón behauptet, es habe einen Plan zum »Genozid«, zur »systematischen Ausrottung« der politischen Gegner gegeben. Würdenträger des spanischen Staates seien in die Gräueltaten verwickelt gewesen – angefangen mit Diktator Francisco Franco selbst. Um sich zu vergewissern, dass die juristische Verantwortlichkeit Francos sowie 34 seiner engsten Vertrauten erloschen ist, fordert Garzón in dem Beschluss deren Sterbeurkunden an. Wichtiger ist, dass er vom Innenministerium eine Aufstellung der Personen verlangt, die vom Beginn des Bürgerkrieges 1936 bis zum Jahr 1952 die wichtigsten Posten in der faschistischen Falange bekleideten. Danach wolle er prüfen, ob jemand strafrechtlich belangt werden könne.

Der Zensus der Opfer, der mit Daten der Opfervereinigungen erstellt wurde, ergab inzwischen eine Liste mit fast 150 000 Namen. Nun argumentiert Garzón, das internationale Recht erlaube »keine Normen des Pardon oder des Vergessens« bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schon vor der spektakulären Ankündigung, dass 33 Jahre nach dem Tod des Diktators erstmals geprüft werden soll, ob es noch Verantwortliche für die Massaker an Republikanern, Kommunisten und Anarchisten gibt, hatte er die Öffnung von 19 Massengräbern angeordnet, darunter auch ein Grab in der südspanischen Stadt Granada, in dem der 1936 ermordete Dichter Federico García Lorca vermutet wird.

Bis heute herrsche in Spanien Straflosigkeit gegenüber den schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ist die verbreitete Analyse von Historikern. »Die Sieger des Bürgerkriegs haben den Besiegten ihr Recht aufgezwungen. Nach dem Putsch wurden sie verfolgt, inhaftiert, gefoltert und es wurde für ihr Verschwinden gesorgt – von jenen, die sich gegen das geltende Rechtssystem und den Staat bewaffnet erhoben hatten«.

Dass die sozialistische Regierung Spanien trotz dieser Einschätzung das Vorgehen nicht begrüßt, ist erstaunlich. Die Staatsanwaltschaft hat sogar Widerspruch angekündigt. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, dessen Großvater unter den Opfern ist, stiehlt sich aus der Affäre. Er erklärt, er respektiere Garzóns Vorgehen, aber auch das der Staatsanwaltschaft. Diese behauptet, die Verbrechen seien verjährt oder fielen unter die Amnestie, die sich die Nachfolger der Diktatur nach dem Tod Francos gegönnt haben.

Das ist letztlich eine politische Entscheidung, denn die Staatsanwaltschaft ist ein Ministerium und untersteht der Regierung. Die zaghafte Aufklärung hat Methode bei der PSOE. In ihren ersten 14 Regierungsjahren unternahm sie bis 1996 kaum etwas. Das Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer, 2007 verabschiedet, annulliert weder die Unrechtsurteile, noch unterstützt es die Opfer bei der Aufklärung, wo ihre Angehörigen verscharrt wurden. Die Falange dagegen darf noch heute bei Wahlen antreten. Mitglieder der Franco-Regierung gründeten die Volkspartei (PP), die sich nie von der Diktatur distanzieren musste. Franco-Minister Manuel Fraga ist Ehrenpräsident der PP und wurde erst 2005 als Präsident Galiciens abgewählt.

Fraga bezeichnet die Ermittlungen als »schweren Fehler«. Garzón verweist dagegen auf internationales Recht, wonach derlei Verbrechen weder verjähren noch amnestiert werden können. Er bezieht sich dabei auch auf ein Interview, das Franco zu Beginn des Bürgerkriegs gab. Darin erklärt der General, man werde jeden Preis für den Sieg zahlen. »Dann werden Sie halb Spanien töten müssen«, stellt der Journalist fest. Franco erwidert: »Ich sagte, ich würde jeden Preis zahlen.«

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