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Gekränkter Spielverderber
Hessens SPD-Vize Jürgen Walter mischt mit Boykott die Partei auf
Jürgen Walter hat alle überrascht. Zwar wundern sich SPD-Parteikollegen schon länger über die Kapriolen des stellvertretenden Landesvorsitzenden – mit dem gestrigen Boykott der angestrebten rot-grünen Minderheitsregierung hatte aber wohl keiner gerechnet. Walter, der seit seiner Niederlage gegen Andrea Ypsilanti von internen Gegnern als gekränkter Spielverderber gegeißelt wird, hat sich zum Buhmann gemacht.
Dabei galt der 40-Jährige lange als kommende Führungsfigur der Partei in Hessen. Seine politische Karriere begann der im hessischen Jugenheim geborene Jurist bei den Jungsozialisten. Mitte der 1990er Jahre schwang er sich zu deren Landesvorsitzenden auf und zog 1999 als Abgeordneter in den Wiesbadener Landtag ein. Nach der Landtagswahl 2003 und der Niederlage des Fraktionsvorsitzenden Gerhard Bökel nahm Walter dessen Posten an der Spitze der hessischen SPD ein und mit der Spitzenkandidatur für den Ministerpräsidentenposten sollte der steile Aufstieg seinen nächsten Höhepunkt finden. Walter verlor aber im November 2006 – für viele überraschend – nach einem Patt im ersten Wahlgang die zweite Abstimmung knapp gegen die damals noch weitgehend unbekannte Andrea Ypsilanti. Walter musste ins zweite Glied zurückrücken und seiner Kontrahentin den Fraktionsvorsitz überlassen – die politische Karriere schien beendet.
Nach der Entscheidung Ypsilantis, mit Tolerierung der LINKEN Roland Koch als Ministerpräsidenten abzulösen, witterte Walter als Vertreter des rechten Flügels der Landes-SPD aber wieder Morgenluft. Zwar schwor er seiner Fraktionschefin zunächst Loyalität und Gefolgschaft, kritisierte dafür jedoch ungewöhnlich scharf den damaligen Bundesvorsitzenden Kurt Beck und dessen Billigung des eingeschlagenen Wegs. Ypsilantis Angebot, im künftigen Kabinett den Ministerposten für Verkehr und Europa zu übernehmen, lehnte Walter, der wenn überhaupt nur das Wirtschaftsressort besetzen wollte, genauso ab wie den Koalitionsvertrag mit den Grünen, den er selbst mit ausgehandelt hatte.
Wie das Machtspiel in Hessen nach dem rot-grünen Scheitern ausgeht, ist nun offen und selbst eine Große Koalition wieder möglich. Diese wäre mit Andrea Ypsilanti nach eigener Aussage wohl nicht zu machen – Jürgen Walter, der noch immer auf eine Schlüsselrolle hofft, hatte sich in den letzten Wochen immer wieder dafür ausgesprochen.
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