Die Dialektik des Alterns

Wissenschaftler ergründen, wo die Grenze der menschlichen Lebenserwartung liegt

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Kurz vor seinem 80. Geburtstag gab Vicco von Bülow alias Loriot der »Süddeutschen Zeitung« ein Interview. Das Alter, erklärte er darin unumwunden, sei nicht der erwartete beschauliche Ausklang des Lebens. Im Gegenteil, vieles gehe einem gehörig auf die Nerven: »Ächzendes Verlassen des Taxis, Zögern bei der letzten Treppenstufe, Unauffindbarkeit des zweiten Mantelärmels, zu Hilfe eilende junge Damen ...« Mit einem Wort: »Altern ist eine Zumutung!«

Nun mag man daran zweifeln, ob der Meister des hintergründigen Humors sein düsteres Fazit wirklich ernst gemeint hat. Doch dass der Alterungsprozess mit körperlichen und geistigen Einschränkungen einhergeht, die sich bisweilen negativ auf unsere Lebensqualität auswirken, wird wohl niemand bestreiten. Aus diesem Grund suchen Menschen schon seit Jahrtausenden nach einem Elixier, das ihnen ewige Jugend und mithin ewiges Leben schenkt.

Zwar sind, rein biologisch betrachtet, solche Hoffnungen auf Sand gebaut. Dennoch zeigt ein Blick in die Geschichte, dass das Durchschnittsalter der Menschen seit der Antike enorm angestiegen ist. 22 Jahre betrug es im alten Rom, 33 Jahre im europäischen Mittelalter. Und noch zu Zeiten Kaiser Wilhelms II. wurden Menschen im Schnitt nicht älter als 49 Jahre. Heute indes haben neugeborene Jungen in Deutschland eine mittlere Lebenserwartung von 76,6 Jahren. Bei Mädchen liegt sie sogar bei 82,1 Jahren. Gründe für diese Entwicklung lassen sich rasch nennen: bessere Nahrungsmittelversorgung, höhere Trinkwasserqualität, neue Hygienestandards und Medikamente.

Die spannende Frage nun ist: Gibt es eine Grenze für die menschliche Lebenserwartung, oder können wie den Tod im Idealfall endlos hinauszögern? In seinem Buch »Endlich Unendlich« geht der Wiener Genetiker Markus Hengstschläger dieser Frage auf den Grund und fasst zusammen, was Wissenschaftler zum Thema Altern in den letzten Jahren herausgefunden haben.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Fakten: Der älteste Mann der Welt, so lehrt uns die Statistik, kam aus Japan und starb mit 120 Jahren. Die älteste Frau, eine Französin, brachte es sogar auf 122 Jahre, nachdem sie mit 117 aufgehört hatte zu rauchen. Übrigens nicht um ihrer Gesundheit willen, sondern weil sie wegen ihrer schlechten Augen Hilfe beim Anzünden der Zigaretten benötigt hätte. Wenn man außerdem bedenkt, dass bereits der griechische Philosoph Demokrit fast 100 Jahre alt geworden ist, liegt der Schluss nahe, dass der Mensch ein gewisses maximales Alter nicht zu überschreiten vermag.

Dafür könnte unter anderem ein genetischer Regelmechanismus sorgen, den der US-Gerontologe Leonard Hayflick entdeckt hat. Menschliche Zellen sind danach so programmiert, dass sie nach ca. 50 Teilungen absterben. Die Zähluhr einer Zelle befindet sich in den sogenannten Telomeren, die das Ende der Chromosomen bilden und bei jeder Teilung kürzer werden. Nach etwa 115 bis 120 Jahren, meint Hayflick, sei die Telomer-Uhr des Menschen unwiderruflich abgelaufen.

Das aber heißt: Wer heute stirbt, stirbt nicht an zu kurzen Telomeren. Zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr ist vielmehr Krebs die häufigste Todesursache, danach sind es Herz-Kreislauferkrankungen. Altern geht also auch mit einem organischen Verschleiß einher, der, wie Hengstschläger schreibt, besonders durch sogenannte freie Radikale befördert wird: »Ist der Stoffwechsel des Organismus hoch, entstehen mehr freie Radikale und ein schnelleres Altern ist die Folge.« Wäre es da nicht denkbar, dass jemand, der weniger isst und somit seinen Stoffwechsel drosselt, länger lebt? Tierversuche sprechen dafür. Bei Mäusen zum Beispiel lässt sich durch eine drastische Kalorienreduktion die Lebenszeit um bis zu 50 Prozent steigern. Ob das auch für Menschen gilt, weiß bisher niemand. Ohnehin hätte diese Art der Lebensverlängerung ihre Tücken. Denn wer permanent unter einem Hungergefühl leidet, mag vielleicht seinen Körper schonen, belastet aber seine Psyche. Kein Geringerer als Woody Allen stellte daher einmal die ketzerische Frage: Wozu soll ich älter werden, wenn ich dabei alles unterlassen muss, wofür es sich letztlich lohnen würde, älter zu werden?

Es gibt zum Glück auch weniger leidvolle Mittel, um sich den Traum vom längeren Leben zu erfüllen. Eine ausgewogene Ernährung zählt zweifellos dazu, wie die Bewohner der japanischen Insel Okinawa beweisen, die überdurchschnittlich oft das 100. Lebensjahr erreichen. Ihr Rezept: viel Gemüse, wenig Fett, viel Soja, wenig Salz. Hinzu kommt, dass in Japan die wenigsten Menschen an Herzkrankheiten sterben. Den zweiten Platz in dieser Statistik belegt erstaunlicherweise Frankreich. Erstaunlicherweise deshalb, weil die Franzosen erheblich mehr Fleisch und Fett zu sich nehmen als andere Südeuropäer. Man spricht deshalb auch vom »Französischen Paradoxon«. Doch wie ist es aufzulösen?

Wissenschaftler vermuten, dass der von vielen Franzosen maßvoll genossene Rotwein vor Herz-Kreislaufkrankheiten schützt. Denn in den Schalen roter Trauben ist mit Resveratrol ein Stoff reichlich enthalten, der freie Radikale neutralisiert. Der Kampf gegen diese Zellschadstoffe scheint Menschen in der Tat zu befähigen, ohne drastische Einbußen an Lebensqualität lange gesund zu bleiben. Und nur wer lange gesund bleibt, kann die von der Natur gesetzte Lebenszeit optimal ausschöpfen.

Erst unlängst haben britische Forscher über 1000 eineiige Zwillinge im Alter von ca. 50 Jahren genetisch untersucht. Und festgestellt, dass bei den sportlich aktiven Zwillingen die »lebensspendenden« Telomere zumeist deutlich länger waren als bei ihren bewegungsfaulen Geschwistern. Gleichwohl steht zu befürchten, dass bei zu großen athletischen Belastungen ein solch zusätzlicher Vorrat an Lebenszeit rasch wieder aufgezehrt würde. Denn immer dann, wenn unser Körper am energetischen Limit arbeitet, verstärkt sich der organische Verschleiß. Im Tierreich ist dieser Zusammenhang besonders augenfällig: Das Herz einer Maus schlägt etwa 650 Mal in der Minute, und Mäuse werden bekanntlich nur wenige Jahre alt. Bei Walen und Schildkröten hingegen, die 100 Jahre und mehr erreichen, führt das Herz ganze 15 bis 20 Schläge pro Minute aus. Es mag vielleicht kurios anmuten: Aber es gibt heute nicht wenige Forscher, Hengstschläger nennt sie Immortalisten, die meinen, der Mensch könne genetisch und organisch so verändert werden, dass er letztlich Unsterblichkeit erlange. Abgesehen davon, dass Biologie und Medizin dem bislang entgegenstehen, würde ein Leben ohne Begrenzung sicherlich an Wert verlieren. Denn erstens gäbe es keinen Ansporn mehr, irgendetwas mit Nachdruck zu erledigen. Und zweitens wäre ein solches Dasein auf Dauer todlangweilig, wie der Publizist Johannes Gross mit Blick auf seine Zeitgenossen einmal treffend bemerkte: »Ich kenne unzählige Menschen, die nach dem ewigen Leben dürsten, aber mit einem verregneten Sonntagnachmittag nichts anzufangen wissen.«

Markus Hengstschläger: Endlich Unendlich. Und wie alt wollen Sie werden? Ecowin Verlag Salzburg, 224 S., 19,95 EUR.

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