»Verdammt schade«

Hessens Landtag löste sich gestern selbst auf – und stimmte sich bereits auf Wahlkampf ein

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Um 16.11 Uhr war es amtlich. Nach nur sieben Monaten beendete der hessische Landtag am Mittwoch in Wiesbaden die kürzeste Legislaturperiode seiner Geschichte und machte mit dem einstimmigen Beschluss über seine Selbstauflösung den Weg für Neuwahlen am 18. Januar frei. Das Kabinett des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) bleibt im Amt.

In der Debatte über die Selbstauflösung zog CDU-Fraktionschef Christean Wagner noch einmal alte Kalte-Kriegs-Register, als er die Linksfraktion scharf angriff und den neuen SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel als aktiven Teil eines »Wortbruchs« und Betreiber der »Zusammenarbeit mit den Kommunisten« bezeichnete. Demgegenüber erinnerte der Koch-Herausforderer von der SPD an »frühere Schwarzgeldskandale der Hessen-CDU, für die Koch in besonderer Weise« stehe, und verteidigte das am Widerstand von vier rechten SPD-Abgeordneten gescheiterte Bemühen um eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Linkstolerierung. Die SPD wolle im Wahlkampf einen Wiedereinzug der LINKEN in den Landtag verhindern. Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir bekannte sich zu den von SPD, Grünen und LINKEN durchgesetzten Beschlüssen und hob die gegen CDU und FDP beschlossene Abschaffung von Studiengebühren hervor. Es sei »verdammt schade«, dass dem Land statt eines Politikwechsels nun Neuwahlen bevorstünden.

Die SPD-Abweichler, die einen Politikwechsel verhindert hätten, »betreiben das Geschäft der politischen Rechten, der Konzerne, Energieerzeuger und des Frankfurter Flughafenbetriebers Fraport AG«, kritisierte Janine Wissler von der Linksfraktion. Sie bemängelte, dass die Hessen-SPD die Chance auf Abkehr von der Agenda 2010 vertan habe. Koch habe in seiner Amtszeit 10 000 Stellen beim Land Hessen vernichtet. Seine Regierung sei »Teil des Problems und nicht Teil der Lösung«.

Zuvor hatte das Landtagsplenum die aktuelle Krise des Autobauers Opel diskutiert und einstimmig ein Stabilisierungsgesetz beschlossen, das einen Rahmen für Garantien und Bürgschaften definiert und das Landes-Finanzministerium dazu ermächtigt, zur Stabilisierung von Opel und Zuliefererbetrieben bis zu 500 Millionen Euro einzusetzen. Bis zum Zusammentritt des neuen Parlaments soll ein ständiger Ausschuss, der dem Hauptausschuss des nunmehr aufgelösten Landtags entspricht und als eine Art »Notparlament« fungiert, informiert und beteiligt werden.

Die Opel-Debatte bot noch einmal Gelegenheit für wahlkämpferische Töne. Auf Ablehnung bei den anderen Fraktionen stieß dabei ein weitergehender Änderungsantrag der LINKEN, der eine Zustimmung zu Bürgschaften und Garantien von der Einhaltung konkreter Bedingungen und Auflagen abhängig macht. So verlangt die Linksfraktion von Opel eine Begrenzung der Managerbezüge, Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und den Abbau betrieblicher Mitbestimmung ebenso wie die Zusage, dass hessischen Staatsgelder nur für Investitionen und Betriebsausgaben in Hessen verwendet werden sollen. Schließlich sei dem Land als Sicherheitsleistung eine Unternehmensbeteiligung an der Adam Opel GmbH einzuräumen.

»Wir sollten uns die Frage der Verstaatlichung gut überlegen«, warnte hingegen der CDU-Abgeordnete Gottfried Milde. Auch SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel sprach sich dagegen aus, »über Verstaatlichungsvarianten nachzudenken«. Nicht alles im LINKEN-Antrag sei falsch und die Vorschläge müssten »im Einzelfall geprüft« werden. Opel sei allerdings kein Fall für den Wahlkampf, stellte der Sozialdemokrat fest. Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir sah in den Turbulenzen des Opel-Konzerns eine »Krise der großen Spritfresser«, die es mit einer besseren Modellpolitik des US-Mutterkonzerns nicht gegeben hätte, und regte eine Opel-Abkoppelung von General Motors an.

Die vier SPD-Abgeordneten, die durch ihr Ausscheren die überstürzte Selbstauflösung des Parlaments herbeigeführt hatten, nahmen als von der restlichen SPD-Fraktion abgetrennter Block auf den Hinterbänken zwischen SPD und Linksfraktion ihre Plätze ein. »Neuwahlen waren nicht unser Ziel«, stellte Carmen Everts in einer persönlichen Erklärung fest. »Wir würden uns heute genau so wieder entscheiden«, erklärte Jürgen Walter im Namen des Quartetts unter starkem Beifall von CDU und FDP.

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