»Kollege Otto« als Totengräber
Vor 20 Jahren wurde die co op AG durch skandalöses Missmangement zerschlagen
Mit Solidarität wollte Bernd Otto zum Ende seiner steilen Karriere vom Färbergesellen zum Vorstandsvorsitzenden eines der größten deutschen Handelskonzerne nichts mehr zu tun haben. Heute vor 20 Jahren endete seine Ära bei der co op AG und damit auch endgültig die der gewerkschaftlichen Konsumgenossenschaften in der BRD. Am 21. November 1988 trat Otto als Vorstandsvorsitzender der co op AG zurück, nach den Enthüllungen durch den »Spiegel« wenige Wochen zuvor war er nicht mehr haltbar.
Nicht die Abkehr von den Grundsätzen der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft (»Wir haben uns nicht strengeren Maßstäben zu unterwerfen, bloß weil die Gewerkschaften am Kapital beteiligt sind«), sondern Missmanagement hatten ihn um seinen Job gebracht. Der ehemalige DGB-Vorstandssekretär hatte den Handelskonzern, den er eigentlich sanieren sollte, an den Rand des Bankrotts geführt. Nach dem Börsengang 1987 gehörte der Konzern mit 50 000 Mitarbeitern über eine Gemengelage von Tarn- und Parallelfirmen sich quasi selbst. Er konnte kein Kapital mehr aufbringen und folgerichtig begann kurz nach Ottos Demission der Ausverkauf, wobei sich die Metro-Tochter SB-Kauf sowie Rewe die größten Teile des abgewirtschafteten Riesen sicherten.
Keine Frage, mit genossenschaftlichen oder gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen hatte die co op AG nicht mehr viel am Hut. Aber schon allein durch ehemalige Funktionäre an ihrer Spitze bestanden enge Verflechtungen mit den Gewerkschaften, die bis Mitte der 80er Jahre Hauptanteilseigener der co op AG waren. Da zudem die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ihren »Kollegen Otto« (so auch der Titel eines Films von Heinrich Breloer über den Skandal, der im Jahr 1991 erschien), der jetzt auf der Arbeitgeberseite saß, freie Hand ließen, durchblickte am Ende niemand mehr das Dickicht der Beteiligungen.
Die Banken strichen nach den Enthüllungen die Kreditlinie, und die ehemaligen Konsumgenossenschaften waren am Ende. Das Kapital übernahm den Einzelhandel endgültig. Fast überall. Für die Gewerkschaften war dies ein erneuter Beweis, dass die Idee der Gemeinwirtschaft keine Zukunft habe. Schon 1987 hatte der DGB-Bundesvorstand nach dem »Neue-Heimat-Skandal« die Abkehr von dem Modell beschlossen. Zuvor war bekannt geworden, dass sich mehrere Vorstandsmitglieder unter Führung ihres Chefs an dem DGB-eigenen Wohnungsunternehmen bereichert hatten.
Die co op AG war 1972 entstanden. Ziel war es, die vielen einzelnen Konsumgenossenschaften der BRD durch einen einheitlichen Konzern in einem durch aufstrebende Discounter immer härter werdenden Einzelhandelsmarkt wettbewerbsfähig zu halten. Dadurch sollten die Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder weiterhin gut angelegt werden, um die Streikkasse zu sichern. Dass sowohl co op wie auch die Neue Heimat den im DGB selbst auferlegten Anforderungen auf Dauer nicht entsprechen konnten, liegt auf der Hand: Der Spagat zwischen Akkumulation des Gewerkschaftskapitals und gemeinwirtschaftlicher Unternehmensführung ist auf Dauer nicht zu leisten.
Da die DGB-Gewerkschaften ihrem Wesen nach Angebotskartelle von Arbeitskraftbesitzern sind – was eben den Kapitalismus als Gesellschaftsform voraussetzt –, konnten (und wollten) sie die transzendierenden Potenzen eines gemeinwirtschaftlichen Unternehmens nicht zum Tragen kommen lassen. Das Wesen aber ist nicht unveränderbar. Wie tief verwurzelt allerdings die Abkehr des DGB von den Möglichkeiten der Gemeinwirtschaft in der Arbeiterbewegung ist, zeigt etwa die Reaktion auf den Vorschlag eines »Praktischen Sozialismus« durch das Hans-Jürgen-Krahl-Institut (HJKI) in diesem Jahr.
Das Institut entwirft dabei auf wenigen Seiten einen Vorschlag, auf das selbst linke Gewerkschafter mit Abwehrreflexen reagieren. Dabei wäre es laut HJKI möglich, bereits jetzt mit einer grundlegenden Veränderung des Wirtschaftens zu beginnen. Dafür müsse man sich hingegen davon verabschieden, dass ein solches Unternehmen kapitalistisch für die Streikkasse wirtschaftet. Es müsse vielmehr gemeinwirtschaftlich für eine neuartige Organisation produziert werden, so dass ein Sektor entsteht, der neben dem kapitalistischen existiert und diesen nach und nach ablösen könnte. Grundlage dafür ist, dass auch unter dem »Durchschnitt gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit« hergestellte Gebrauchswerte Bedürfnisse befriedigen können.
Dass Otto und seine Kollegen wie auch die Totengräber der Neuen Heimat diese Potenz der Gemeinwirtschaft so grundlegend aus dem Gedächtnis der Linken getilgt haben, wiegt schwer. 20 Jahre später sollten aber dessen ungeachtet die Möglichkeiten der Gemeinwirtschaft wieder ins allgemeine gewerkschaftliche Bewusstsein gerufen werden.
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