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Nachruf auf den ça ira-Verlag, der einmal zu den interessantesten der Linken gehörte

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 5 Min.
Die diesjährige Linke Literaturmesse ging mit dem Beschluss zu Ende, dass der antideutsche ça ira-Verlag zukünftig nicht mehr mit einem Stand auf der Messe vertreten sein darf. Bevor der Verlag zur politischen Sekte mutierte, war er ein durchaus verdienstvolles linkes Projekt.

Die nächste Linke Literaturmesse in einem Jahr könnte zum ersten Mal ohne den ça ira-Verlag stattfinden. Die anderen Verlage – in der Mehrzahl libertär oder undogmatisch, in Teilen aber auch linksdogmatisch – haben zum Abschluss der diesjährigen Messe einen entsprechenden Beschluss gefasst. Der Rausschmiss wird von Verlagsseite als ein maßgeblich von der Berliner Tageszeitung »junge Welt« betriebener Putsch bezeichnet. Eine öffentliche Diskussion um die in dem Freiburger Verlag publizierten Schriften und Anschauungen fand in Nürnberg tatsächlich nicht statt. Angesichts seiner hart antideutschen Positionen ist allerdings auch erstaunlich, dass der Verlag nicht schon viel früher gefragt wurde, was er eigentlich noch in und von der Linken will.

Wahn und Propaganda

Der Aufhänger für die jetzige Entscheidung war offenbar, dass sich die Verlagsvertreter auf der Messe geweigert hatten, die antideutsche Zeitschrift »Bahamas« vom Tisch zu nehmen. Die Bahamas lebt mittlerweile davon, linke Tabus zu brechen und scheut nicht vor offen rassistischen Bemerkungen und Titelbildern zurück.

Der ça ira-Verlag ist neben der Bahamas der wichtigste Bezugspunkt für Leute aus dem sogenannten antideutschen Spektrum. Ihr Habitus schwankt zwischen extremistischem Unsinn und konformistischem Mainstream. Beide trommelten nach dem 11. September 2001 für den »War on terror« und den Irakkrieg. Noch in einer am Montag verbreiteten Erklärung zum Rausschmiss war der Verlag nicht bereit, sich von dem Ruf nach einem Präventivkrieg gegen Iran zu distanzieren.

Kritiker und ehemalige Mitstreiter wurden in der Vergangenheit nicht nur im lokalen Freiburger Kontext als »NPD-Nazis« oder »Antisemiten« tituliert. Wahn und propagandistisches Kalkül lassen sich hierbei kaum unterscheiden.

Wichtige Bücher und richtige Kritik

Der ça ira-Verlag ist in der Hand der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF). Wer ihre Geschichte kennt, den beschleicht dennoch ein ambivalentes Gefühl. Denn hier wird nicht nur einem Verlag, der sich zusehens irrationalen und gegen-emanzipativen Gedanken verschrieb, die rote Karte gezeigt. Blickt man ein wenig weiter zurück, handelt es sich bei der ISF und ihrem Buchverlag um eine der interessantesten und teilweise auch verdienstvollsten Erscheinungen innerhalb der deutschen Linken. Bücher aus der rätekommunistischen Tradition wurden hier veröffentlicht, wichtige Beiträge zum Diskussionsstand des westlichen Marxismus präsentiert, wie Helmut Reichelts »Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs« oder Eugen Paschukanis Werk zu Warenform und Rechtsform. Auch die gesammelten Schriften des Parlamentarismuskritikers Johannes Agnoli sind bei ça ira erschienen.

Angetreten ist die ISF mit dem Vorsatz, die Kritische Theorie innerhalb der Linken der 80er Jahre fortzuschreiben. Diesem Fortschreiben lag ein radikalisierter Kritikbegriff zugrunde, der mit seinem »bösen Blick« noch bei linken Bewegungen das Fortleben des Nationalsozialismus ausmachte. Mit Marx, Adorno oder Hans Jürgen Krahl, an dem sich zu einem guten Teil das Verlagsprogramm orientiert, hatte die Politik und Agitation der Gruppe immer weniger zu tun. Aber: Antisemitismus in der Linken, dümmliche Aversionen gegen die USA, unterschwelliger Nationalismus und offener Konformismus wurden durch die ISF in den 80er Jahren in all ihren Varianten aufs Korn genommen. Nach wie vor und wieder gibt es einen Hang zum Autoritarismus oder zur Kleinzeichnung des islamisierten Antisemitismus von Hamas und Hisbollah innerhalb der dogmatischen Linken. Betrachtet man diese und andere unappetitliche Phänomene kann man sich nicht mit jenen gemein machen, die jetzt über den ça ira-Rausschmiss jubeln.

Mutation zur Sekte

Der Freiburger Kleinstverlag befindet sich nun in neuen Kalamitäten, ein Rechtsstreit mit der Witwe von Johannes Agnoli belastet ihn bereits seit einigen Jahren. Geht die Verbannung aus der Linken weiter, wäre das für die Betroffenen individuell wohl zu bedauern, die dann selbst um ihre prekäre Existenzsicherung bangen müssten.

Viele jüngere Antideutsche haben sich durchaus karrieretüchtig in den BAK Shalom der Linkspartei abgeseilt, sind bei Dan Diners Simon-Dodnow-Institut untergekommen oder haben keine Probleme, sich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Erstellung Marx verhunzender Dissertationen aushalten zu lassen. Die Freiburger Urgesteine von ça ira verharrten dagegen teils aus persönlichem Unvermögen, teils aus »organischer Renitenz« stets in ihrer Position gesellschaftlicher Marginalität.

Mittlerweile lebt ça ira wie die Zeitschrift Bahamas ideell vor allem vom Hass auf die Linken, materiell hängen sie jedoch noch an ihnen. Und so besteht ein der Linken fremd gewordener Verlag auf seinen Messestand in Nürnberg, während er das Spektrum dort als »Abgrund der Gegenaufklärung« betrachtet, wie in seiner jüngsten Erklärung nachzulesen ist. Götz Alys Thesen überspitzend bringt ça ira darin die Geschichte der Neuen Linken und der RAF nur noch auf den kurzen Nenner »Antisemitismus«.

Es ist eine bittere Ironie der Geschichte: Eine Gruppe, die in den frühen 80er Jahren mit einer beißenden Kritik des Bhagwan-Wahnsinns in der Linken auftrat, ist selbst zu einer Sekte autoritärer Charaktere mutiert, die sich in eine Sackgasse verrannt hat.

»Ça ira!« Wir werden es schaffen, heißt eines der bekanntesten Lieder der Französischen Revolution. 1790 entstanden, änderte sich der Text der Kampfhymne mehrfach im Verlauf der Auseinendersetzungen.

Auch als die Pariser am 10. August 1792 das Tuilerien-Schloss stürmten, dürfte »Ça ira!« gesungen worden sein. Wahrscheinlich in einer derberen Fassung: Aristokraten an die Laternen!

Dass ein deutscher Kleinverlag gleichen Namens gut 200 Jahre später den Zorn der »kleinen Leute« für fast prinzipiell verblendet und tendenziell gefährlich erklären würde, hätten sich die rebellischen Franzosen vermutlich nicht träumen lassen.

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