Das Sorgenkind der EU heißt Prag
Der tschechische Präsident Klaus droht mit Gründung einer antieuropäischen Partei
In der Europäischen Union blickt man mit Sorge auf den Streit in der tschechischen Regierungspartei ODS. Schließlich soll die Regierung in Prag am 1. Januar 2009 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft von Frankreich übernehmen. Schon hat Präsident Sarkozy laut überlegt, Frankreich könnte nach Ablauf der Präsidentschaft den Vorsitz der – gestärkten – Eurogruppe übernehmen und so eine schwache tschechische EU-Präsidentschaft ausgleichen. Der CSU-Europaabgeordnete Ingo Friedrich hat sogar ein »Auslassen« Tschechiens und ein Vorziehen der für den 1. Juli 2009 anstehenden schwedischen EU-Präsidentschaft auf Januar verlangt.
Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus hat diesen Sorgen jetzt neue Nahrung gegeben. Er stellte seine Bürgerliche Demokratische Partei (ODS) vor die Wahl, Regierungschef Mirek Topolanek von der Parteispitze zu entfernen – oder er werde eine eigene Partei der EU-Gegner gründen. Klaus, der 1991 zu den Mitbegründern der ODS gehörte, stellte diese Forderung im Vorfeld des in der kommenden Woche stattfindenden Parteitags der Bürgerlichen. In einem Gespräch mit der tschechischen Tageszeitung »Mlada Fronta dnes« richtete er den Appell an die Parteimitglieder, sie sollten sich gut überlegen, ob sie weiter einer Partei unter dem Vorsitz Topolaneks folgen wollten. Er sehe jedenfalls, dass dieser Weg in den Abgrund führe und erwäge den Austritt aus der ODS.
Einer der Hintergründe war die Niederlage, die Klaus vor Tagen erleiden musste: Das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik hatte keine Einwände gegen die Ratifizierung des Lissabonner EU-Vertrags. Ein Sieg für die Regierung Topolanek. Der Staatspräsident dagegen hatte von Anfang an Bedenken gegen das Vertragswerk geäußert und diese auch in den Gerichtssitzungen der vergangenen Woche vehement vorgetragen.
Seit Monaten ist die ODS zerstritten. Eine Gruppe der sogenannten Rebellen unter Führung des Prager Oberbürgermeisters Pavel Bem opponiert auf das Heftigste gegen den Parteivorsitzenden und Regierungschef Topolanek. Gegenseitig warf man sich die Schuld an den Wahldebakeln vom Oktober vor, als die Partei nicht nur alle Spitzenpositionen in den 13 Bezirken, sondern auch die Mehrheit im tschechischen Senat verlor.
Es ist in Tschechien ein offenes Geheimnis, dass Vaclav Klaus seinen politischen Zögling Bem gern auf der Position des Parteichefs wüsste. Allerdings genießt Pavel Bem außer in seinem unmittelbaren Umfeld Prag und einigen Teilen Mittelböhmens keine große Sympathie bei der Parteibasis. Die gegenwärtige Auseinandersetzung könnte auch die Autorität Topolaneks als Regierungschef soweit untergraben, dass der ohnehin schon auf schwachen Füßen stehenden Dreierkoalition aus Bürgerlichen, Christdemokraten und Grünen ein vorzeitiges Ende bereitet werden könnte.
Bereits die im Vorfeld des Parteitags stattfindenden Regionalkongresse der Bürgerlichen in Olomouc, der Region Vysocina und Mittelböhmen könnten ein Indiz geben, in welche Richtung die Parteimitglieder tendieren. Wie ein konservativer Abgeordneter sagte, sind eine »Reihe von Mitgliedern von den Bemühungen Klaus’ und Bems, Mirek Topolanek abzuschießen, nicht begeistert. Gerade dies könnte dem Vorsitzenden eine größere Unterstützung sichern, zumal die Menschen mit Präsident Vaclav Klaus schon länger nicht zufrieden sind.«
Beobachter der Szene vermuten indes, dass es Klaus weniger um die Ausrichtung der ODS als um die Konsolidierung seiner eigenen Position geht. Auch aus diesem Grunde will er unbedingt, dass Bem die Spitzenposition in der ODS einnimmt.
Sollte dieser Coup nicht funktionieren, schließt der Präsident die Gründung einer neuen, antieuropäisch ausgerichteten Partei nicht aus. Als erster Schritt in diese Richtung wird auch die Ankündigung des Präsidentensohnes Vaclav Klaus jun. interpretiert, er sei »fertig mit der ODS«.
Die notwendige finanzielle Unterstützung zur Gründung der neuen Vereinigung, so wird in Prag kolportiert, soll von Declan Ganley, dem milliardenschweren Führer der irischen antieuropäischen Libertas, gewährt werden. Mit ihm hatte sich Klaus vor wenigen Wochen anlässlich seines Staatsbesuches in Irland getroffen.
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