Von Zweien, die auszogen, ihr Recht zu suchen

Im deutschen Sozialrecht sind noch viele Fragen ungeklärt – für die Betroffenen häufig eine persönliche Katastrophe

  • Joachim Benjamin
  • Lesedauer: 3 Min.
In Potsdam findet seit gestern der 2. Deutsche Sozialgerichtstag statt. Erstmals 2006 trafen sich Menschen, die beruflich mit sozialrechtlichen Fragen zu tun haben. Monika Paulat, Präsidentin des Sozialgerichtstages, rief aus diesem Anlass dazu auf, die Unterkunftskosten besser zu regeln. Schicksale wie das der Familie Krüger könnten so verhindert werden.
In Berlin gab es im Jahr 2007 knapp 600 Zwangsumzüge.
In Berlin gab es im Jahr 2007 knapp 600 Zwangsumzüge.

Da hatten die Krügers* ihre Kinder großgezogen, 40 Jahre in ihrem kleinen Betrieb geschuftet. Doch dann verloren sie ihre größten Kunden, investierten die gesamten Rücklagen und standen 2002 mit leeren Händen da. Herr Krüger beantragte Rente, nur reichte die nicht zum Leben. So mussten sie den Weg in die staatliche Abhängigkeit gehen und erhalten nun Grundsicherung, die gerade mal zum Leben reicht. Und sie sollten aus ihrer »viel zu großen« Wohnung ausziehen. 60 Quadratmeter sind für Staatsknete-Abhängige genug. Da Frau Krüger in schlechtem Gesundheitszustand ist, durften sie zunächst bleiben.

2005 gerieten sie an das Kreissozialamt und das kürzte ihnen sofort die Hilfe um die »zu viel« gezahlte Miete. Die Krügers riefen das Sozialgericht an und erlebten, dass die Gegenpartei die Tatsachen auf den Kopf stellte, auch vor einer Lüge nicht zurückschreckte. Dass eine Behörde so handeln könne, war ihnen nie in den Sinn gekommen, dem Richter wohl auch nicht, er glaubte den Krügers jedenfalls kein Wort. Bei einem Vergleich mussten sie sich verpflichten, eine günstigere Wohnung zu suchen. Bis es zu einer zweiten Verhandlung kam, hatten die Krügers etliche Wohnungen besichtigt – erfolglos. Wohnraum nach dem Regelsatz ist eben rar.

Es kam erneut zu einem Vergleich, befristet bis März 2008. Die Krügers verpflichteten sich, einen Makler zu beauftragen. Der Gesundheitszustand des Ehepaares hatte sich inzwischen deutlich verschlechtert, aber das Gericht verwies auf eine übergeordnete Instanz, die festgestellt hatte, dass körperliche Gebrechen kein Grund seien, auf einen Umzug zu verzichten. Ein solcher könne auch von externen Personen bewältigt werden. Die Krügers benötigen aber unbedingt weiterhin zwei Toiletten und drei Zimmer, denn Herr Krüger beabsichtigt, künftig mit Heimarbeit Geld hinzu zu verdienen. Diese Einwände wurden aber nicht zur Kenntnis genommen.

Sie bekamen eine Wohnung angeboten, im ersten Stock. Diese Lage war vorher ausgeschlossen worden, Herr Krüger hat kaputte Kniegelenke. Das Ehepaar lehnte ab. Danach wurde ihnen eine total verbaute Zweizimmerwohnung offeriert. Inzwischen wurde es April und die Zahlung aufs Neue gekürzt. Der Anwalt legte Beschwerde beim Sozialgericht ein, das Sozialamt musste nachzahlen.

Die nächste Wohnung hatte zwei Zimmer in schlechtem Zustand. Als die Krügers wieder ablehnten, reichte es dem Sozialamt, ab Juni wurde erneut gekürzt. Der Anwalt erhob Beschwerde, legte Atteste vor – Frau Krüger ist suizidgefährdet –, führte aus, dass seine Mandanten ein Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Wohnung haben müssen und dass diese Forderung vom Grundgesetz abgedeckt sei.

Das sah das Gericht anders und lehnte die Beschwerde ab. Die Krügers sollen also auch weiterhin von rund 120 Euro im Monat leben. Da ihre Kinder nicht mehr verdienen, als sie für ihren eigenen Lebensunterhalt brauchen, ist von ihnen kaum Hilfe zu erwarten. Nun muss sich das Ehepaar Geld im Bekanntenkreis leihen.

Die nächste Beschwerde wurde vom Landessozialgericht verworfen: Der Beschluss ist unanfechtbar, der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt. Die Krügers haben jetzt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt.

*Name geändert

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