Gordon Brown stiehlt Clintons Kleider
Spröder Schotte gerät in der Krise zum Helden
Es war die kürzeste Thronrede seit Menschengedenken: Elizabeth II. entstieg der goldenen Staatskutsche, rückte sich die Krone gerade und langweilte Abgeordnete und Lords in gewohnter Manier, dafür aber nicht lange. Wichtige Pferderennen gibt's Anfang Dezember keine, ihre Corgi-Hunde sind nicht krank: Also lag die Kürze am Redenschreiber Brown.
Nur dreizehn neue Regierungsvorlagen: Hilfe zur Abwendung zukünftiger Bankenkrisen sowie zum Schutz der Sparer, eine einfachere Gestaltung der Arbeitslosenhilfe, dafür Druck auf langfristig Krankgeschriebene, sich wieder eine Beschäftigung zu suchen. Aber keine Anweisungen an neuerdings halbverstaatlichte Banken, das von den Steuerzahlern gepumpte Geld an Kleinbetriebe oder Privatkunden wieder auszugeben, nur Hoffnungen, sie würden irgendwie von alleine auf den Gedanken kommen. Kurz: New Labour wie gehabt.
Für die eigene Parlamentsrede behielt sich Brown einen besonderen Leckerbissen vor: einen Subventionsplan für Entlassene, die mit der Rückzahlung ihres Wohnungsbaukredits in Verzug geraten. Für eine zweijährige Übergangszeit brauchen Zinsen an die Bank nicht zurückgezahlt zu werden, zur Not springt der Staat dafür ein. Schätzungsweise 9000 von 75 000 in Gefahr geratenen Hausbesitzern könnten dadurch ihr Eigentum behalten.
Der kurzen Rede kurzer Sinn: »Erste Priorität meiner Regierung bleibt, die Stabilität der britischen Wirtschaft während des globalen Abschwungs zu gewährleisten«, sagte die Monarchin.
Von wegen Stabilität gewährleisten! Die Wirtschaft auf der Insel wackelt bereits bedrohlich. Die Arbeitslosenzahl steigt rapide, bekannte Firmen wie Woolworth gehen pleite, es knirscht im Gebälk der Börse. Doch Gordon Brown handelt energisch. Zur Senkung der Umsatzsteuer um volle 2,5 Prozent treten ab Donnerstag die niedrigsten Bankleitzinsen (nur 2 Prozent) seit 1951. Auch staatliche Infrastrukturprogramme sollen dazu beitragen, die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen.
Mag Oppositionsführer David Cameron dem Premier teuren, kopflosen Aktionismus vorwerfen: Gordon Brown läuft zur Höchstform auf. Die Wähler scheinen es ihm zu danken: Statt eines Tory-Vorsprungs im Sommer von fast 30 Prozentpunkten sieht die neueste Umfrage Labour wieder bei 36, nur einen Punkt hinter den Konservativen. Gerade wegen der Krise gerät der spröde Schotte zum Superhelden, gegen den zur Zeit kein konservatives Kraut gewachsen ist.
Dafür sitzt ein Landsmann in der Tinte. Michael Martin (Spottname unter den Tories »Gorbals Mick«, nach dem Glasgower Armutsviertel, in dem der ehemalige Metallarbeiter aufwuchs) ist kein großes Kirchenlicht, sondern ein treuer Parteisoldat, von Tony Blair unversehens zum Parlamentspräsidenten erkoren. Im Amt beging Martin Fehler: Oppositionsabgeordnete werfen ihm Parteilichkeit vor, seine Frau brachte ihn mit vom Steuerzahler subventionierten Taxi-Einkaufstouren ins Gerede. Jetzt kam's noch dicker: Eine Razzia im Unterhausbüro des konservativen Sprechers für Einwanderungsfragen, Damian Green, ließ Martin kürzlich widerstandslos geschehen, Green wurde neun Stunden lang auf einer Polizeiwache verhört.
Ging es dabei um eine Gefährdung der nationalen Sicherheit, wie vom Londoner Polizeichef Stephenson und von Labours Industrieminister und Chef-Strippenzieher Peter Mandelson behauptet? Oder wollte Innenministerin Jacqui Smith einen lästigen Gegner einschüchtern, der sie mit peinlichen Enthüllungen über illegale Ausländer quälte? Wie dem auch sei: Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahre 1642 verlangt es die Tradition, dass der Parlamentspräsident seine Kollegen vor staatlicher Verfolgung schützt. Dass Martin sein Versehen auf die beamtete Kollegin Jill Pay abzuschieben versuchte, half ihm nicht viel. Wenn sich Brown außer Schußweite befindet, wollen die Tories mindestens ein Stück Labour-Wild zur Strecke bringen.
Doch Glasgower Metaller sind zäh und lassen sich von konservativen Snobs nichts ins Bockshorn jagen: Mit öffentlicher Unterstützung Browns will Martin im Amt bleiben. Fazit: Fürs erste kommt besinnliche Vorweihnachtsstimmung in London nicht auf.
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