Welterbe soll die Stadtwerke kosten

Protest gegen Verkauf von Kommunalbetrieb in Quedlinburg / Bürgerentscheid im Januar

  • Hendrik Lasch, Quedlinburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Quedlinburg hat sich für die Sanierung der Altstadt tief verschuldet. Um der Notlage zu begegnen, sollen nun drei Viertel der Stadtwerke verkauft werden. Doch es gibt Gegenwind. Am 11. Januar entscheiden die Bürger.

Wer durch die Altstadt von Quedlinburg schlendert, wähnt sich im Grimmschen Märchen. Im Schatten des mächtigen Doms, der auf einem Sandsteinfelsen thront, lehnen sich entlang enger Gassen pittoreske Fachwerkhäuser aneinander, die vielfach in frischen Farben leuchten. Anderswo riecht es nach frischem Holz und Mörtel: In der Stadt, die von der Unesco auf der Liste des kulturellen Welterbes geführt wird, herrscht seit Jahren rege Bautätigkeit.

Während Touristen von der Szenerie zu Begeisterungsrufen hingerissen werden, ist im Rathaus indes eher Stöhnen angesagt. Für Baumaßnahmen zum Erhalt des Welterbes habe man sich in den 90er Jahren »bis über alle Ohren verschuldet«, sagt SPD-Bürgermeister Eberhard Brecht. An den Schulden droht die 22 000 Einwohner zählende Stadt fast zu ersticken: Eine halbe Million Euro Zinsen sind jährlich zu berappen. Weil das Geld für Theater, Vereine oder den weithin bekannten »Advent in den Höfen« zunehmend knapper wird und auch für die Rettung des bröckelnden Domberges kaum noch Mittel vorhanden sind, spricht Brecht von einer »absoluten Ausnahmesituation«.

Angesichts der schwierigen Lage wird im Rathaus ein Schritt erwogen, der freilich in der Stadt auf heftigen Widerspruch stößt: Quedlinburg könnte seine Stadtwerke teilweise verkaufen. Der Stadtrat beschloss im Sommer mit knapper Mehrheit, einen Verkauf von maximal 74,9 Prozent zu prüfen. Mit dem Erlös von erhofften 22 Millionen Euro könnte ein Großteil der Schulden getilgt werden. Alle anderen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung, sagt Brecht, seien »sozial nicht zumutbar«. Das gelte auch für einen Wohnungsverkauf, wie ihn im benachbarten Halberstadt Oberbürgermeister Andreas Henke (LINKE) erwägt.

Nennenswerte Teile der Bürgerschaft halten den Verkauf indes für eine schlechte Idee. Eine Initiative, die sich gegen die Anteilsveräußerung richtet, sammelte 4797 Unterschriften und setzte damit einen Bürgerentscheid durch, der am 11. Januar stattfindet. »Uns fehlt die Nachhaltigkeit«, begründet Steffen Kecke, der Sprecher der Initiative. Die Schieflage im Haushalt werde nicht beseitigt; zugleich gingen der Stadt die Einnahmen aus den Gewinnen der Stadtwerke verloren: »In kurzer Zeit werden wir noch schlechter dastehen als jetzt.«

Tatsächlich verhelfen die Stadtwerke, die in der Harzstadt für die Versorgung mit Strom, Fernwärme und Gas zuständig sind, der Kommune zu regelmäßigen Einnahmen von bis zu 1,5 Millionen Euro im Jahr. Den Verzicht darauf sei die teilweise Entschuldung nicht wert, sagen Verkaufsgegner. Brecht erwidert, dass Quedlinburg weiterhin Konzessionsabgaben und Gewerbesteuer erhalte; der eigentliche Gewinn der Stadtwerke werde schon jetzt »direkt an die Banken durchgereicht«. Zudem heißt es, mittelfristig werde der Gewinn ohnehin sinken. Dafür, entgegnet Kecke, gebe es »keine Belege«. Volker Kriseleit, Ratsfraktionschef der ebenfalls in der Initiative engagierten LINKEN, fürchtet für die Zukunft vielmehr sinkenden Einfluss der Stadt auf Preisgestaltung und den Verlust von Arbeitsplätzen.

Einigkeit gibt es jenseits solcher argumentativer Scharmützel zwischen den Gegnern und Befürwortern des Verkaufs nur in einer Frage: Eigentlich bräuchte Quedlinburg mehr Einnahmen. Brecht hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass ein Teil des Erlöses in die Erschließung neuer Industrieflächen gesteckt wird. Kecke dagegen sieht die Stadtwerke selbst als »Schlüssel zum Erfolg«; sie sollten stärker in alternative Energien investieren und dadurch wirtschaftlich gekräftigt werden. Wiederholt aufgegriffen wird das Thema in Veranstaltungen, die neben rund 10 000 an den Haustüren verteilten Flugblättern viele Bürger zur Abstimmung mobilisieren sollen. Für den 6. Januar hat die Bürgerinitiative dabei mit Hermann Scheer nicht nur ein Schwergewicht auf dem Gebiet der Umweltpolitik gewonnen, sondern pikanterweise auch einen Parteifreund des Bürgermeisters und Ex-Bundestagsabgeordneten Brecht.

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