In Kuba fließt wieder überall Strom

Die Hurrikan-Saison ist vorüber, aber erst jetzt sind die schwersten Schäden behoben worden

  • Leo Burghard, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.
Fünf schwere Wirbelstürme haben in diesem Jahr über Kuba gewütet und schwere Zerstörungen angerichtet.

Die diesjährige Hurrikan-Saison für den Nordatlantik, die Karibik und den Golf von Mexiko, also auch für Kuba, ist vorbei. Endgültig. Theoretisch beginnt sie am 1. Juni und endet am 30. November, aber es hat immer wieder einmal »Ausrutscher« gegeben, vor allem im Dezember. Doch das ist in diesem Jahr unvorstellbar, denn der tropische Winter ist vorzeitig über die Region hereingebrochen und hat die Meereswasseroberfläche so weit abgekühlt, dass kein Wasser mehr verdampft und den nötigen Treibstoff für die Hurrikans liefert. Immerhin werden seit zwei Wochen im westlichen und mittleren Kuba Nachttemperaturen gemessen, die zwischen neun und zwölf Grad liegen, so dass die Karibische See und der Golf von Mexiko sich ebenfalls abgekühlt haben und unter den kritischen 27 Grad liegen.

Das höchste Verwüstungspotenzial eines Hurrikans, das heißt, einer der Kategorie 5 auf der Saffir-Simpson-Skala, kann man sich selbst als Laie ungefähr vorstellen: Pro Stunde reißt er mehr als 3,5 Milliarden Tonnen Luft mit sich und entwickelt mehrere Millionen Megawatt Energie. Einen Wirbelsturm dieser Kategorie musste Kuba zwar nicht überstehen, aber fünf der Kategorie 1 bis 4. Einer pflügte die gesamte Insel der Länge nach von Ost bis West um (Ike), ein anderer (Gustav), der acht Tage vorher sein Unwesen getrieben hatte, durchquerte Kuba zwar nur, aber er ließ keinen Stein auf dem anderen, keine Bananenstaude blieb stehen, er ersäufte, was im Boden kurz vor der Reife war, wusch Gleisbetten aus, zerbrach Brücken und Straßen und legte abertausende Strom- und Telefonmasten um. Obgleich eine UNO-Inspektion festgestellt hatte, es herrsche kein Chaos und die Kubaner würden »ohne Mutlosigkeit« hart arbeiten, um ihr Land wieder funktionsfähig zu machen, dauerte es immerhin bis zum Dienstag dieser Woche, bis die Unión Eléctrica Vollzugsmeldung erstatten konnte: Überall fließt wieder Strom.

Nicht auszudenken, wenn die kubanische Regierung nicht aus Erfahrung klug und vorausblickend schon vor sechs Jahren begonnen hätte, Riesengeneratoren zu importieren und zu installieren, die vom nationalen Elektrizitätsnetz unabhängig mit selbst geförderten Dieselöl Strom produzieren. Das betrifft unter anderem Notunterkünfte, Hospitäler, Bäckereien, Polikliniken, Betriebe, die Lebensmittel und Medikamente herstellen. Ein erster Überblick ergab vor sechs Wochen eine materielle Schadenssumme von fünf Milliarden Dollar. Inzwischen werden zehn Milliarden – auch von offizieller Seite – als eventuell sogar noch zu niedrig kalkuliert. Das sind etwa 20 Prozent des normalen Jahresbruttoinlandsprodukts.

Nun muss man kein Pessimist sein, um die völlige Behebung der Schäden auf mehrere Jahre zu veranschlagen. Und am 1. Juni 2009 setzt ja die nächste Hurrikan-Saison ein. Kuba, dem »solidarischsten Land der Welt« (Nelson Mandela), wurde und wird geholfen – vor allem von Venezuela, China, Russland, Vietnam, Brasilien, Mexiko. Aber es ist vergleichsweise wenig, wie man den Presseberichten entnehmen kann. Von den USA ohne Blockadehürden kaufen zu können, wäre eine große humanitäre Hilfe.

Ein internationales Meteorologengremium prüft zur Zeit, ob der 340-Stundenkilometer-Windstoß, der die kleine Ortschaft Paso Real de San Diego in der Provinz Pinar del Río völlig zerstörte, möglicherweise der gewaltigste und zerstörerischste jemals weltweit gemessene war. Auch haben die Statistiken ergeben, dass die zu Ende gegangene Saison seit 1886 die sechste war, während der drei und mehr Hurrikans über die Insel kamen. Fast immer werden die Westprovinzen und die Insel der Jugend am schlimmsten getroffen.

Müssen sich die Bewohner der Karibik also darauf gefasst machen, dass das so weitergeht oder gar noch schlimmer wird? Der kubanische Chefprognostiker Dr. Rubiera, eine international anerkannte Kapazität, wiegelt ab. Die Hurrikans entstünden ja nicht nur aufgrund der hohen Wassertemperaturen, sondern im Verein mit den Kältegraden in großen Höhen. In verschiedenen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts sei die Hurrikan-Tätigkeit zum Beispiel ebenfalls sehr heftig gewesen. Von 1960 bis 1995 habe dagegen relative Ruhe geherrscht. Mit dem Klimawechsel, meint Rubiera, habe das nichts zu tun. Den hält er für umkehrbar.

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