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  • Rosa und Karl

MassenStreik

Es ging um Brot und Frieden

  • Ottokar Luban
  • Lesedauer: 3 Min.
Adolph Hoffmann, Mitbegründer der USPD, spricht zu den Streikenden im Januar 1918 in Berlin.
Adolph Hoffmann, Mitbegründer der USPD, spricht zu den Streikenden im Januar 1918 in Berlin.

Seit 1905 setzte sich Rosa Luxemburg für die Anwendung des Massenstreiks zur Erreichung von mehr Demokratie ein. 1907 wirkte sie auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale in Stuttgart zusammen mit Lenin am berühmten Beschluss mit, der die sozialistischen Parteien im Falle eines Krieges verpflichtete, »für dessen rasche Beendigung einzutreten und … die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen«.

Auslöser für den ersten politischen Massenstreik im Weltkrieg war der Prozess gegen den Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht wegen einer Friedensdemonstration auf dem Potsdamer Platz in Berlin am 1. Mai 1916. Rosa Luxemburg rief sofort zu einer Sympathieaktion für Liebknecht auf, zunächst ohne Erfolg. Erst nach der Streikaufforderung durch die linken Betriebsvertrauensleute der Metallarbeitergewerkschaft legten Ende Juni in Berlin 75 000 Beschäftigte die Arbeit nieder und bekundeten ihre Solidarität mit Liebknecht, genauso wie einige Streikende in anderen Städten wie Braunschweig und Bremen. Die Militärbehörde reagierte mit Zwangsrekrutierungen und »Schutzhaft«, die u. a. Rosa Luxemburg und den 70-jähigen Franz Mehring traf. Wegen der abschreckenden Wirkung erzielten weitere Streikaufrufe zugunsten Liebknechts keinen Erfolg. Dazu hatten auch die Spitzen von SPD und Gewerkschaften mit ihren Warnungen vor weiteren Streiks beigetragen, die im »Vorwärts« veröffentlicht und auf 100 000 Flugblättern verteilt wurden.

Nach einer miserablen Kartoffelernte im Herbst 1916 verschlechterte sich die Ernährungslage dramatisch. Die Kohlrübe diente als Hauptnahrungsmittel. Brot wurde wegen Getreidemangels mit Stroh gestreckt. Ausreichend Fett und Fleisch gab es nur zu Wucherpreisen. Am Ende dieses »Kohlrübenwinters« 1916/17 gab die Ankündigung einer Senkung der Brotration zum 15. April den Anlass für eine große Streikwelle vom 16. bis 18. April 1917 mit 200 000 Beteiligten in Berlin, wieder auf Initiative der linken Obleute. Die meisten Belegschaften beschränkten sich auf Forderungen zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, während 25 000 Beschäftigte – teilweise unter Führung von Spartakusanhängern – zusätzliche politische Forderungen nach Frieden ohne Annexionen, Demokratisierung und Aufhebung der politischen Repressionen erhoben. Politische Forderungen stellten auch die 30 000 Streikenden in Leipzig und in weiteren Städten. Erneut erfolgten massive staatliche Repressionen. SPD und viele Gewerkschaften distanzierten sich wiederum und warnten erneut.

Nachdem das Ende Dezember 1917 mögliche Kriegsende im Osten trotz des Angebots der neuen von den Bolschewiki geführten russischen Regierung auf Frieden ohne Annexionen sich nicht erfüllt hatte (weil die kaiserliche Regierung auf einen Gewaltfrieden bestand), initiierten die Berliner Obleute in engem Kontakt mit USPD und Spartakusgruppe ab 28. Januar 1918 eine einwöchige neue Streikbewegung, an der sich ca. 400 000 Menschen, darunter viele Frauen beteiligten. In die aus den Obleuten und der USPD-Führung gebildete Streikleitung traten nun auch drei Mitglieder des SPD-Vorstandes ein, auf Drängen der eigenen Parteibasis.

Der Friedensstreik in Berlin und mehreren anderen Städten erfasste insgesamt ca. eine Dreiviertel Million Personen und stellte damit die größte Massenaktion gegen den Krieg dar. Doch die kaiserliche Regierung ignorierte den Volkswillen. Die staatlichen Repressionen gegen die Streikbeteiligten übertrafen alles bisher bekannte. Viele Streikende wurden von Kriegsgerichten im Schnellverfahren zu Gefängnis verurteilt, Tausende kamen an die Front.

Statt eines Friedens ohne Annexionen wurde Russland der Gewaltfriede von Brest-Litowsk aufgezwungen. Nunmehr planten die oppositionellen Gewerkschaftler ab Mai 1918 eine bewaffnete revolutionäre Massenerhebung zur Erreichung von Frieden und Demokratie. Es war die Basisbewegung der revolutionären Obleute, die am 9. November 1918 in Berlin mit Unterstützung der USPD und der Spartakusgruppe die bewaffnete Massenerhebung der Arbeiterschaft auslöste und damit die Voraussetzungen für die Gründung der ersten Demokratie auf deutschem Boden schuf.

Der Historiker, Sekretär der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft, veröffentlichte jüngst bei der RLS Sachsen »Rosa Luxemburgs Demokratiekonzept«.

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