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Rot-rote Bündnisse in Tschechiens Bezirken

Linksruck nach den Regionalwahlen

  • Heiko Kosel
  • Lesedauer: 3 Min.
Angesichts des wochenlangen Gerangels der konservativ geführten Prager Regierungskoaltion um eine Kabinettsumbildung ist eine bemerkenswerte politische Entwicklung in Tschechien fast untergegangen: der Linksruck nach den Regionalwahlen.

In fünf der 14 tschechischen Bezirke mischen jetzt die Kommunisten (KSCM) in den Regionalregierungen mit – auf der Grundlage von förmlichen Tolerierungs- oder von Koalitionsverträgen mit den Sozialdemokraten (CSSD). Dies kommt einem politischen Erdrutsch gleich, da sich die Bezirke bis zu den Regionalwahlen – mit einer christdemokratischen Ausnahme im katholisch geprägten Südmähren – ausschließlich in den Händen der liberalkonservativen ODS befanden. Heute ist die KSCM in den Bezirken Karlovy Vary und Moravskoslezsko (Ostrava) an der Regierung beteiligt und stellt dort auch Vizebezirkshauptmänner. In den Bezirken Mitteltschechien (rund um Prag), Plzen und Vysocina (Jihlava) toleriert die KSCM sozialdemokratische Minderheitsregierungen.

Die Koalitionsverhandlungen waren in allen Bezirken sehr schwierig. Wobei die Hauptprobleme der CSSD hausgemacht waren. Mitte der 90er Jahre hatten die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag in Bohumin beschlossen, mit den Kommunisten nicht politisch zusammenzuarbeiten und keine gemeinsame Regierung zu bilden. Jetzt schlug die Stunde der Wortdeuter. War damals nur die höchste Ebene, die Regierung in Prag gemeint? Die sozialdemokratische Parteiführung meint heute ja – und sprang schließlich über ihren antikommunistischen Schatten.

Rot-Rote Bezirksregierungen bedeuten sehr viel in einem Land, in dem es ein Gesetz über die Widerrechtlichkeit des Kommunismus gibt, in dem das Strafgesetzbuch neben nazistischer auch kommunistische Propaganda unter Strafe stellt, und wo sich der kommunistische Jugendverband mit einem Verbotsverfahren auseinandersetzen muss. Die KSCM kommt durch den Eintritt in einige Bezirksregierungen weiter aus der politischen Isolation heraus, in die sie die anderen Parteien seit 1990 zu drängen versuchten.

Aber auch für die CSSD ist diese Entscheidung ein Befreiungsschlag. Hat sie doch nun mehr Spielraum gegenüber der rechten ODS. Das zeigte sich bereits während der Koalitionsverhandlungen in einzelnen Bezirken. Dort entfernte sich die ODS zum Teil erheblich von ihrem Wahlprogramm, um in der Regierung zu bleiben. Ursprünglich geplante Privatisierungen von öffentlichen Dienstleistungen etwa waren plötzlich für sie kein Thema mehr.

Stanislav Rybak, einer der Verhandlungsführer der KSCM im Bezirk Usti, brachte es so auf den Nenner: »Vor den Regionalwahlen gab es die Wahlprogramme der drei großen Parteien. Das kommunistische, das sozialdemokratische, das viele Punkte mit unserem gemeinsam hatte, und das neoliberale der ODS. Nach den Wahlen, bei den Koalitionsverhandlungen, hatte ich mitunter den Eindruck, als seien alle drei Parteien mit einem einzigen Wahlprogramm, nämlich dem unseren, gestartet.« Besonders deutlich wird dies bei dem zentralen Punkt der kommunistischen wie auch der sozialdemokratischen Wahlkampagne: Verhinderung der Privatisierung von bezirkseigenen Gesundheitseinrichtungen und einer Praxisgebühr in diesen Einrichtungen.

Die konkrete Lage in der jeweiligen Region spielte eine entscheidende Rolle bei den Koalitionsverhandlungen. So entschied sich der Wahlsieger CSSD im Bezirk Usti für die ODS als Partner, weil diese bisher trotz ausreichender Mehrheit die Sozialdemokraten in die Bezirksregierung eingebunden hatte. Im Bezirk Karlovy Vary hingegen legte die CSSD großes Augenmerk auf das Potenzial zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den deutschen Nachbarregionen. Die KSCM konnte dort auf ein seit 2004 mit der LINKEN im Sächsischen Landtag bestehendes Kooperationsabkommen und dessen praktische Ergebnisse verweisen, während der ODS nichts Vergleichbares zur Verfügung stand.

Doch beeinflusste nicht nur das Wahlprogramm der KSCM die rot-roten Koalitionsvereinbarungen. Der Linksruck bei den Regionalwahlen führte aufgrund des tschechischen Rechtssystems selbst in jenen Bezirken, in denen die Kommunisten nicht in der Regierung vertreten sind, zu einer stärkeren Präsenz der Partei in der Exekutive – in Rechnungshöfen, Finanz-, Verkehrs- und Sozialverwaltungen, im Bildungswesen. Doch egal ob Koalition, Tolerierung oder Opposition, entscheidend wird sein, wie es der KSCM gelingt, linkes Profil deutlich zu machen, ihr Wahlprogramm umzusetzen und so einen Impuls für die gesamte tschechische Gesellschaft zu geben. Eine erste Nagelprobe werden bereits die EU-Wahlen sein. Nach derzeitigen Umfragen gelten nur drei der bisher sechs Sitze der KSCM im Europäischen Parlament als sicher.

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