Es bruzzelt
Taboris »Mein Kampf« am BE
George Taboris Werk hatte viele Regisseure. Der beste war er selber. Er war in den Tollheiten wundersam unaufwändig, noch im Bösen von einer tief durchfühlten Milde, im Schmerz kauerte zwinkernd ein Lächeln. Er inszenierte so, wie er zu sterben riet: mit leichten Gepäck. Man muss den Tod schon im Leben üben, jenes Leichte. Und der harte helle Witz dieses Juden würde jetzt sagen: Da genau sind wir bei Hitler, dem Sterbehelfer über alle Maßen, und womöglich wäre nichts aus ihm geworden, hätte es die Juden nicht gegeben. In diesem Falle Schlomo, den Gefährten im Wiener Männerheim. Der dem Hitler Selbstvertrauen zurückgibt, denn der leidet an zwei Dingen: an Verstopfung und an Durchfall bei der Kunstakademie. Taboris provokative Logik: Täter und Opfer, eine Beziehungskiste inniglicher Verquickung – der bald geschunden werden wird, erfindet seinen Schinder.
Das klingt knallfrech, ist moralisch von teuflisch-göttlicher List. Oder war es zumindest, auch »Mein Kampf« kam in die Jahre. Hermann Beil hat das Stück nun auf der Probebühne des Berliner Ensembles inszeniert, Karl Ernst Herrmann führt unsere Blicke in einen langgestreckten Schlafsaal mit Herd in der Mitte, hinten fahles Licht und Schneetreiben. Die Weite der Szene erzählt schon viel von der dreistündigen Aufführung. Hier fließt das Stück in die Breite, zeigt seine ruhigen, auch behäbigen Stellen. Beil ist kein Inszenator der explosiven Kerne, des raschen Vorantriebs. Mit einem Ernst, der alle Komik immer wieder sanft dämpft, konzentriert sich die Regie ganz auf die Unmerklichkeit, mit der die Fügung Menschen in Verhältnisse bringt, an deren Ende die unfassbare Katastrophe steht.
Michael Rothmann spielt den Juden, ein Schauspieler, der das Verdutzte, schwerfällig Staunende im Wesen mitführt; dieser lakonisch rührige, rührende Schlomo ist in seiner Naivität und Fürsorgebereitschaft schon Abgesandter einer unglücklichen Zukunft. Jörg Thiemes Hitler verknüpft natürliche Einfalt mit ebenso natürlicher Exaltiertheit; es gehört wohl zum Temperament der Regie, dass der Aufschwung ins Clowneske eines Ui nur (überzeugender!) Ansatz bleibt: der bellende Hampelmann, der stumpfe Vorwärtsdrang. Andrea Bröderbauer als Gretchen: Schlomos Liebe, die nicht stattfindet, nackte Unschuld, eifrige Naziblondine, am Ende wieder das tröstende Wesen, wie ein letzter begleitender Mensch, wenn's in die Gaskammern geht.
Mit Martin Schneider als Frau Tod blitzt dann doch noch das grelle Grinsen einer Art Travestie auf, die den dunklen Stoff in die Absurdität einer höchst sinnfälligen Pointe überführt. Frau Tod holt diesen Herrn Hutler oder Hotler, nein Hitler – aber nicht als Jenseits-Kandidat steht er auf ihrer Liste, sondern als Gefährte des Vernichtens. Schneider ist eine protzend füllige Diva zwischen Machtbewusstsein und beglückend zukunftssicherer Gier: Hitler wird ihr ganze Völker ins Geschäft holen. In solcher Gewissheit rutscht Schneiders Matrone ins ungeschminkt kalte Männliche: Immer kommt der Punkt, da alle Masken fallen.
Schlomos Dauerschluchzen überm gebratenen Huhn Mizzi – vorher: eine tumbe braune Horde beim fleischgeruchsheftigen Probebruzzeln – nimmt zum Schluss ein größeres Ofen-Kapitel vorweg. Aus dem Loch im Herdrohr entweicht schon mal Qualm. Zart fast. Der braucht einen langen Weg, dass ihn die Welt wahrnimmt.
Nächste Vorstellung: 15. März
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