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Wie steht es um Medizin in Gaza?

Muneer Deeb über weit reichende Folgen des Krieges für die Bevölkerung / Der Chirurg am Klinikum Kassel ist im Ärzteforum Pal-Med Europe aktiv und arbeitete während des Krieges in Gaza

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Wie steht es um Medizin in Gaza?

ND: Wie ist es derzeit um die medizinische Versorgung in Palästina bestellt?
Muneer Deeb: Wir können von medizinischem Brachland sprechen, das war auch schon vor dem Krieg so. Als die Bombardierung begann, haben wir als Hilfsorganisation Pal-Med deshalb per Internet einen Aufruf an Kollegen gestartet, dort medizinische Hilfe zu leisten. Es war unglaublich: Binnen drei Tagen haben sich Ärzte aus aller Welt spontan dazu bereit erklärt.

Und diese Ärzte konnten dann genauso spontan nach Gaza reisen?
Natürlich nicht. Meine Bitte um Unterstützung an das Auswärtige Amt in Berlin wurde mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht ratsam, derzeit nach Gaza zu reisen. Der norwegischen und der französischen Regierung gelang es schließlich in Absprachen mit der ägyptischen Regierung, unseren internationalen Teams die Einreise zu ermöglichen.

Die Bombardierungen durch Israel richteten sich gegen die Raketenstellungen der Hamas, Krankenhäuser wurden demnach verschont?
Mitnichten, wir waren schon in der ersten Nacht beispiellosen, dauerhaften Bombardierungen ausgesetzt. Das Al-Quds-Krankenhaus, in dem ich zunächst gearbeitet habe, wurde zwei Mal bombardiert. Wir standen schließlich mit all unseren Patientinnen und Patienten auf der Straße im Bombenhagel. Unter diesen Patienten waren Menschen, die künstlich beatmet werden mussten, sowie drei Neugeborene in Inkubatoren. Glücklicherweise konnten wir sie in der nächsten Feuerpause ins Zentralkrankenhaus bringen.

Wie waren die Arbeitsbedingungen?
Wir hatten sechs Operationstische, die wir einfach geteilt haben, also waren es dann insgesamt 12. Wir haben Rücken an Rücken rund um die Uhr gearbeitet, um wenigstens lebensrettende chirurgische Eingriffe vornehmen zu können. Trotzdem konnten wir nicht alle Menschen retten. Während des Krieges in Gaza bin ich mit Verletzungen konfrontiert worden, die ich im Leben vorher noch nicht gesehen hatte.

Welcher Art waren diese Verletzungen?
Bei vielen Menschen waren die Beine fast amputiert, die Haut war verkohlt, die Muskulatur bestand aus schwarzen Löchern und die Patienten verbluteten innerlich. Aber wir konnten keine Fremdkörper entdecken, Granatsplitter zum Beispiel, wie wir zunächst vermuteten. Wir konnten die Blutungen nicht stoppen. Die Kollegen haben dann versucht, die schwelenden Brandwunden mit Wasser zu löschen, aber das führte nur zu einer extremen Rauchentwicklung. Schließlich fanden wir heraus, dass die israelische Armee Bomben mit Phosphorfüllung benutzten. Phosphorbomben zersplittern in unzählige Stücke, die brennen, so lange sie Sauerstoff erhalten. Die Kollegen in der Klinik haben dann Sand benutzt, um die Sauerstoffzufuhr zu stoppen. Das war erfolgreich.

Ist der Einsatz solcher Waffen nicht verboten?
Nicht generell. Phosphorbomben werden beispielsweise benutzt, um Truppenbewegungen zu verschleiern, weil sie eben diese extreme Rauchentwicklung haben. Aber es ist laut internationalen Konventionen nicht erlaubt, sie über dicht besiedelten Wohngebieten abzuwerfen. Phosphor ist extrem aggressiv und gilt zudem als krebserregend. Was das für die Bevölkerung des Gaza-Streifens auf lange Sicht bedeutet, kann derzeit noch niemand sagen.

Fragen: Birgit Gärtner

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