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Sri Lanka – ein Krieg im Verborgenen

Die Regierung des Landes wähnt sich kurz vor dem Sieg

  • Carla Lee, Colombo
  • Lesedauer: 7 Min.
Für zwei Tage nur hat Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse eine Feuerpause für den Nordosten des Landes angeordnet. Ein kurzes Einhalten nur, denn Rajapakse sieht sich kurz vor seinem Ziel, den jahrzehntelangen ethnisch-sozialen Konflikt auf der Insel durch die militärische Zerschlagung der »Befreiungstiger von Tamil Eelam« (LTTE) zu beenden.
Sri Lanka – ein Krieg im Verborgenen

»Deine Stimme für den Patriotismus«, liest man auf Wahlplakaten an den Straßen der Hauptstadt Sri Lankas. Provinzwahlen stehen bevor. An dreirädrigen Auto-Rikschas flattern Nationalflaggen. Der Löwe darauf repräsentiert die ethnische Mehrheit des Inselstaates – die Singhalesen. Die Medien des Landes, mit nur wenigen Ausnahmen, werden derweil nicht müde, die Erfolgsgeschichte der Streitkräfte zu verbreiten. Die Militärs werden in Colombo und anderswo im singhalesisch bevölkerten Süden als wahre Helden gefeiert.

Nahezu alle unparteiischen Augenzeugen des »Krieges gegen den Terror« wurden jedoch aus den Kriegszonen vertrieben, insbesondere Journalisten und Entwicklungshelfer. Zuletzt war allen Hilfsorganisationen mit Ausnahme des Internationalen Roten Kreuzes und der Vereinten Nationen befohlen worden, die nördliche Provinz Vanni bis Mitte September 2008 zu verlassen. Seither tobt auf der Insel ein unvergleichlicher »Krieg ohne Medien«.

Augenzeugen sind unerwünscht

»Sie können sagen, dass auf dem acht Kilometer langen Küstenstreifen die größte Toilette der Welt liegt.« Torn Vanni, ein über die Lage in der nördlichen Kriegszone gut informierter religiöser Führer, holt Luft, bevor er am Telefon weitere Auskünfte gibt. »Denguefieber und Lungenentzündungen breiten sich aus. Die Artillerie schießt auf bewohnte Gebiete, auch Streubomben werden abgeworfen. Einige Opfer haben schwere Hautverbrennungen. Die Armee hat erklärt, sie wolle die Bevölkerung von den ›Tamilischen Tigern‹ befreien, aber kann das wahlloses Töten rechtfertigen?«

In unserem Gespräch geht es um jene nur etwa 14 Quadratkilometer große »Sicherheitszone«, in der die Tamilen-Rebellen und eine nicht genau bekannte Zahl von Zivilisten eingekesselt sind. Geschätzt wird, dass dort für jede Person gerade mal ein kleines Fläschchen Trinkwasser pro Tag zur Verfügung steht – wenn das Wasser aus den verfügbaren Quellen noch trinkbar ist. Sechs Eier kosten 10 US-Dollar (etwa 7,50 Euro), 100 Gramm Reis 1400 Rupien (rund 9 Euro). Das ist das 200-Fache des normalen Preises! Das Milchpulver war Ende März bereits völlig aufgebraucht. Torn Vanni berichtet: »Die Leute beginnen zu hungern. Sie sind zwischen der Armee auf der Hauptstraße im Osten und der Marine am Küstenstrich im Westen eingeschlossen.«

Im Norden droht ein Massaker

»Solange es keinen Waffenstillstand gibt, ist es für die Menschen unmöglich, aus dem Kampfgebiet zu fliehen«, schätzt eine Entwicklungshelferin aus Trincomalee in der Ostprovinz ein. Besorgt ist sie vor allem wegen der Angaben von Regierungsseite, wonach in der besagten Zone etwa 70- bis 80 000 Zivilisten eingeschlossen sind. Diese Zahl liegt wesentlich niedriger als die Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen und tamilischer Gruppierungen, die von 150 000 und mehr Menschen ausgehen. »Sehen Sie, wenn dort nach Regierungsangaben bald nur noch 20- oder 30 000 Zivilisten übrig wären, wüchse die reale Gefahr eines Massakers, denn die Regierung könnte erklären, dass es dort nur noch LTTE-Rebellen gibt.«

Verteidigungsminister Gotabaya Rajapakse hatte schon früher argumentiert, dass alles, was sich außerhalb der »Sicherheitszone« befindet, legitimes Ziel des Militärs sei – Krankenhäuser eingeschlossen. Beobachtungen von Human Rights Watch zufolge hatten die Regierungskräfte Anfang Februar ein Krankenhaus in Puthukkudiyiruppu mit Artillerie und Streubomben beschossen. Jetzt gibt es in dem Gebiet keine funktionierenden Krankenhäuser mehr, die man treffen könnte.

Da Medienvertreter nicht Augenzeugen des Krieges sein dürfen, stammen die meisten Informationen aus Vanni von Militärs oder von Zivilisten in Flüchtlingslagern. Der Zugang ist jedoch schwierig, denn die Flüchtlinge sprechen nur Tamilisch, kaum Englisch. Sri Lanka ist kein zweisprachiges Land, sondern eines, dessen zwei ethnische Gruppen – Singhalesen und Tamilen – jeweils nur ihre Sprache beherrschen. Eine Verständigung scheitert oft schon daran.

Ein erfahrener tamilischer Journalist, der für staatliche Medien arbeitet, beklagt: »Tamilische Journalisten werden vom Verteidigungsministerium oft von organisierten Medientouren ausgeschlossen.« Sogar Parlamentariern wird häufig der Zugang zu Orten und Gebieten verweigert. »Ich wurde in Medawachchiya in der Nähe von Vavunya angehalten. Ich bin gewählter Abgeordneter und wollte meine Leute sehen, die vom Krieg furchtbar gebeutelt wurden. Warum erhielt ich keine Erlaubnis?«, beschwert sich Shresh Premachandran, Abgeordneter der Tamilischen Nationalen Allianz (TNA).

Ein tamilischer Aktivist, der beide Sprachen spricht, berichtete von einer falschen Übersetzung durch seine ebenfalls zweisprachigen singhalesischen Begleiter bei einer Besichtigungstour. »Wir besuchten ein Krankenhaus in Vavunya, in dem Menschen behandelt wurden, die durch einen Granatenangriff verletzt worden waren. Sie sagten, dass sie nicht wüssten, wer sie angegriffen hat. Aber meine Begleitung übersetzte für die anwesenden Ausländer: ›Sie wurden durch die Rebellen angegriffen.‹ Dabei ist das Gebiet zwischen Omantai und Kilinochchi, wo der Angriff erfolgte, eine von den Regierungskräften stark gesicherte Zone.«

Die Regierung Sri Lankas – und nicht nur sie – beschuldigen die LTTE, Zivilisten als »menschliche Schutzschilde« zu missbrauchen. Tatsächlich übten die »Befreiungstiger« faktisch die Regierungsgewalt in ihrem einst 150 000 Quadratkilometer großen »Staat« Tamil Eelam im Norden der Insel aus. Es gibt auch kaum Zweifel daran, dass sie ein »Einwanderungsgesetz« verabschiedet hatten, das es den eigenen »Bürgern« nicht erlaubt, auf das Gebiet des Feindes zu wechseln, es sei denn, sie waren ernsthaft verletzt und wurden durch Rot-Kreuz-Transporte nach Trincomalee gebracht.

Aufrufe an die LTTE, ihre »Bürger« doch gehen zu lassen, sind dennoch widersprüchlich: Viele der vermeintlichen »menschlichen Schutzschilde« sind Familienangehörige oder Verwandte der »Befreiungstiger«. Und selbst wenn sie von den LTTE »entlassen« würden oder flüchteten, drohte ihnen das Schicksal, in eines der »Wohlfahrtsdörfer« verbracht zu werden, die unter Kontrolle der Streitkräfte Sri Lankas stehen. Unter der Kontrolle derer also, denen sie die Schrecken der vergangenen Jahrzehnte »verdanken«. Ein Diplomat in Colombo, der das sicherlich bestgeführte »Musterwohlfahrtsdorf« besucht hatte, beschrieb die dortigen Verhältnisse: Ein äußerer Stacheldrahtzaun wird von der Polizei bewacht, ein zweiter Ring aus Stacheldraht von der Armee. Auch tamilisches Paramilitär wird dem Vernehmen nach in diesen Dörfern eingesetzt. Die Flüchtlinge haben keine Chance, sich frei zu bewegen. Größte Besorgnis erregen Berichte, wonach Lagerbewohner im Zuge des »Untersuchungsprozesses«, dem sie unterzogen werden, »verschwinden«. Durch diesen Prozess suchen die Behörden zu verhindern, dass ihre »Wohlfahrtsdörfer« von LTTE-Kadern unterwandert werden.

»Wir sind besorgt über die Menschenrechtsverletzungen, die dort geschehen könnten. Einzelne Besuche können uns nicht beruhigen, wichtig wäre eine ständige Beobachtung«, erklärt Paikiasothy Sarvanamuttu, Direktor des Zentrums für Politische Alternativen (CPA).

Der Vorwurf des Missbrauchs »menschlicher Schutzschilde« trifft üblicherweise jede Rebellengruppe, die einen Guerillakrieg führt. »Man vergisst, dass die LTTE eine Guerilla-Armee sind, und zu deren Strategie gehört es nun einmal, sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen.« Darauf weist Visaka Dharmadasa hin, die 55-jährige Vorsitzende des Vereins der vom Krieg betroffenen Frauen. Sie ist überzeugt davon, dass es unbedingt einen längerfristigen Waffenstillstand geben muss, damit die LTTE im Gegenzug ihre Kriegsgefangenen frei lässt. Tausende werden seit Jahren in den Gefängnissen der »Befreiungstiger« vermutet. Auch Visaka Dharmadasa glaubt, dass sich ihre zwei Söhne in den Händen der LTTE befinden. Der eine, Achintha Senarath, der als Wehrpflichtiger in den Streitkräften Sri Lankas diente, wird bereits seit 1998 vermisst. Lebt er noch oder wurde er in dem zuletzt so heftig geführten Krieg getötet?

Wahrscheinlich waren auch die Opfer in der Regierungsarmee groß. Aber die Behörden veröffentlichen keine Zahlen – aus Angst davor, dass die Bekanntgabe der Verluste die Moral der Soldaten untergräbt und die Unterstützung für den Krieg auch im Süden, wo sehr viele Soldaten rekrutiert werden, schwinden lässt.

Die Wurzeln des Konflikts bleiben

»Wenn man die LTTE ausradiert hat, wird dann alles gut? Nein, wir werden weitere brutale Kriege erleben, weil die Wurzeln des Konflikts weiter existieren«, glaubt Viska, eine trauernde Mutter. Eine ähnliche Ansicht vertritt Lal Wikrematunga vom »Sunday Leader«, dessen Herausgeber samt Bruder Anfang dieses Jahres erschossen wurde. »Die LTTE-Zellen haben ein internationales Netzwerk. Selbst wenn man die LTTE hier im Lande entscheidend schwächt, bleibt das Netzwerk bestehen. Solange man auf ihre Anliegen nicht eingeht, wird der Kampf nicht enden. Er kann vielleicht einige Jahre ruhen, aber er wird wieder ausbrechen. Ein neuer Prabhakaran (der übermächtige LTTE-Chef) wird geboren werden, vielleicht aber auch 25 von seiner Sorte.«

Die »Befreiungstiger«, so nimmt man an, werden sich in den Dschungel zurückziehen, wo sie ihren Guerillakrieg eines Tages wieder aufnehmen werden. So wie jetzt schon in der Ostprovinz, die Mitte 2007 von der Regierung zur »befreiten Zone« erklärt worden war.

Tamilische Kriegsflüchtlinge in der Ostprovinz Sri Lankas. Seit 2006 leben sie in Lagern, obwohl ihre Heimatorte angeblich bereits seit Mitte des Jahres 2007 »befreit« sind.
Tamilische Kriegsflüchtlinge in der Ostprovinz Sri Lankas. Seit 2006 leben sie in Lagern, obwohl ihre Heimatorte angeblich bereits seit Mitte des Jahres 2007 »befreit« sind.
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