• Politik
  • Schweinegrippe schreckt die Welt. Pandemiegefahr! Auch in Europa läuten (intern) Alarmglocken

Hauptsache »auslandskrankenversichert«

Unter Spannung: die politisch Verantwortlichen. Unter Gefährdung: womöglich die ganz Welt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko treffen immer mehr Länder mehr oder weniger untaugliche Maßnahmen, um eine Ausbreitung des Erregers zu verhindern. Vor Ort dagegen wachsen Angst, Verzweiflung, Hilflosigkeit – und Trauer. Bis zum gestrigen Abend beklagte die mexikanische Regierung 103 Menschen, die dem Virus H1N1 erlegen sind. Die Zahl der Verdachtsfälle wurde mit rund 1600 angegeben.
So schaut die Gefahr aus.
So schaut die Gefahr aus.

»Ich persönlich würde unnötige Reisen in die Gegenden, in denen sich die Krankheit häuft, vermeiden, um das Risiko einer Ansteckung sowie der Verbreitung der Krankheit zu verringern.« EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou sprach dies vorsorglich gestern in Brüssel. Doch was haben sie und ihre Meinung schon mit der Wirklichkeit zu tun?

Jedenfalls nichts mit der Wirklichkeit, die bei den Beamten des deutschen Auswärtigen Amtes herrscht. Auf deren Website fand man gestern Nachmittag die üblichen Faltblatt-Sprüche. »Sprechen Sie mit dem Arzt Ihres Vertrauens.« Und »für alle (Not-)Fälle: Schließen Sie eine Auslandskrankenversicherung ab, die auch eine Kostenübernahme für einen aus medizinischen Gründen erforderlichen Rücktransport beinhaltet«.

Im Übrigen gebe es eine »enge Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung und dem Robert-Koch-Institut«. Und auch die gesamte Bundesregierung beruhigt: Für die Menschen in Deutschland gibt es durch die Schweinegrippe in Mexiko und den USA derzeit keine direkte Gefahr.

Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Klaus Vater, betonte das »derzeit«. Nach Ansicht von Experten wird das Übel sich von den Aussagen der deutschen Regierung nicht abweisen lassen. »Ich denke, wir können davon ausgehen, dass wir das Virus auch bald bei uns sehen werden«, sagte der Virologe Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut. Eine vergleichbare Ansicht vertritt der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Jörg Hacker. Allerdings warnte er pflichtgemäß davor, »in Panik zu verfallen«. Man sei »gut vorbereitet. Es gibt Pläne für den Fall der Fälle«.

Auch der Leiter der Infektions- und Tropenmedizin an der Uniklinik Leipzig, Stefan Schubert, warnte davor, in Panik zu verfallen. Er erklärte in der »Leipziger Volkszeitung«: »Die Ansteckungsgefahr ist kaum größer als bei einer normalen Grippe – aber die Tödlichkeit kann weitaus höher sein.« Hinzu komme, dass es keinen Impfstoff gegen den Erreger-Subtyp geben kann und die Entwicklung von Gegenstoffen Monate dauern würde.

Angeblich sei das Virus via Mexiko bereits in Bielefeld angekommen. Doch muss man erst nach Mexiko fahren, um in Gefahr zu geraten? Kaum! In den USA sind derzeit 20 Fälle von Schweinegrippe in fünf Bundesstaaten bestätigt worden, in Kanada sechs. In Spanien gibt es einen, weitere Verdachtsfälle in Israel und Neuseeland. Dort wurde die erste Stufe eines nationalen Notfallplans in Kraft gesetzt. Bei 10 von 13 Schülern, die in Mexiko zu Gast waren und über das kalifornische San Diego zurück gereist sind, wurde Influenza A positiv getestet. Ob sie sich auch mit dem Untergruppenvirus H1N1 der Schweinegrippe infiziert haben, wird derzeit ermittelt.

Noch dauert es zwei bis drei Tage, bis die Laborergebnisse vorliegen. Die Gesundheitsbehörden in Hongkong erklärten unterdessen, Wissenschaftler entwickeln einen Schnelltest für das neue Virus, so dass schon nach sechs Stunden die Resultate ermittelt sind. Doch im marktwirtschaftlichen Gefüge gibt es immer wieder solche Ankündigungen, die sich nur als Reklame gut lesen.

Länder wie etwa Polen, Italien oder Venezuela sprachen unterdessen Reisewarnungen für Mexiko aus. Immer mehr Staaten verbieten auch den Import von Fleisch aus Mexiko und auch den USA und Kanada. Unter anderem China, Russland und Taiwan wollen jeden Betroffenen, der die Symptome der speziellen Virusinfektion aufweist, unter Quarantäne stellen. In mehreren Ländern werden Einreisende inzwischen mit Wärmescannern auf mögliche Symptome untersucht. Doch Fieber muss nicht gleich Schweinegrippe bedeuten.

Die WHO, die am Wochenende gesagt hatte, dass die Seuche die verheerende Chance einer Pandemie in sich trage, sammelt Daten, um zu wissen, ob man es wirklich mit einer Mutation herkömmlicher Viren zu tun hat. Heute würden wir klüger sein. Gestern hat US-Präsident Obama die Losung ausgegeben: Die Grippe erfordert Aufmerksamkeit, ein Grund, hektisch zu reagieren, sei sie nicht.

In der Tat: Verglichen mit der aktuellen Weltwirtschaftskrise scheint die Schweinegrippe eben doch nur marginal. Noch.

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