Mein Platz: nicht bei Ausgrenzern

Christoph Hein:

  • Lesedauer: 2 Min.
Der Schriftsteller Christoph Hein (Foto: dpa) hat die Einladung der Bundesregierung zu einer Veranstaltung zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes ausgeschlagen. In einem offenen Brief, den »der Freitag« publizierte, begründet Hein sein Fernbleiben mit der Ausgrenzung von DDR-Künstlern in der Ausstellung »60 Jahre, 60 Werke« im Berliner Gropius-Bau. Wir dokumentieren Auszüge aus Heins Brief.

D em Katalog ist zu entnehmen, dass es eine gesamtdeutsche Ausstellung sein soll, eine Hommage an den ersten Satz von Artikel 5,3 des Grundgesetzes, wonach die Kunst frei sei. Und die ostdeutschen Künstler wurden nur darum ausgeschlossen, da sie in einer Diktatur lebten und arbeiteten. In einer Diktatur, heißt es, könne freie Kunst nicht entstehen.

In einer Diktatur ist sehr viel verboten und sehr viel nicht möglich, da haben die Ausstellungsmacher Recht. Aber von der Kunst scheinen sie recht wenig zu wissen und nichts zu verstehen. Kunst ist ein eigenartiges Gewächs, das seine erstaunlichsten, wundervollsten Blüten und Früchte aus einem harten Boden hervorbringt. [...]

Wenn Sie Bilder zu sehen wünschen, die »eine Hommage an die Freiheit der Kunst sind«, die wirklich staatsfern sind, deren Maler für ihre Überzeugung, dass die Kunst frei zu sein habe, tatsächlich lebten, litten und kämpften, dann könnte ich Ihnen ein paar Bilder und Skulpturen zeigen, die wirklich für diese Freiheit stehen, weil diese Künstler sich die Freiheit täglich neu erobern mussten. Es sind freilich ostdeutsche Künstler. [...] Die Bilder und Grafiken, die Skulpturen und Installationen, die in der Zeit der DDR und im Herrschaftsbereich dieses untergegangenen Staates entstanden, sollen nach dem Wunsch des Kurators der Ausstellung wie »ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten«.

Was für eine Sprache! Ich will sie keineswegs mit der Sprache jener anderen Richter gleichsetzen, die einst eine »entartete Kunst und entartete Künstler« zu vernichten suchten. [...] Aber die Haltung dieser Kunstrichter ist die gleiche, der Wunsch und das Ziel, sie sind deckungsgleich: ausmerzen, ausradieren, verdunsten. [...]

All diese Merkwürdigkeiten einer kriegsgerichtlichen Kunstbetrachtung wären kaum der Rede wert, wenn diese Ausstellung lediglich die ideologische Marotte eines Kustos abbilden würde, aber es ist die repräsentative Ausstellung der Bundesregierung, von der Kanzlerin und den Ministern gefördert und gerühmt. Ich muss daher die Einladung von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier ausschlagen.

Ich gehöre zu den Ausgegrenzten, dort war, dort ist mein Platz. [...] Ich gehöre zu ihnen und nicht zu den Ausgrenzern. Ausgegrenzt zu werden, ist durchaus misslich, aber dem Rückgrat und der Kunst förderlich. Und ich bin darin geübt, denn ausgegrenzt wurde ich schon, bevor ich in die Schule kam. Und das blieb dann so, und soll wohl auch weiterhin so bleiben.

Die Einladung war ein Missverständnis. Man kann und muss nicht jedes Missverständnis in dieser Welt aufklären, aber wenn man sich dadurch beschmutzt fühlt, ist eine Klärung angebracht.

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