Doch kein Geschenk für den »Führer«

Die Geschichte der Edda Tunn, ein Lebensborn-Kind

  • Erika Schwarz
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit ihrer Mutter, 1952
Mit ihrer Mutter, 1952

Edda Tunn erfuhr erst kurz vor ihrem 50. Geburtstag, dass sie in einem Heim des Lebensborn e.V., das der Reichsführung der SS unterstand, das Licht der Welt erblickt hatte. Die Mutter hatte mit ihr darüber nie gesprochen und ihr den leiblichen Vater vorenthalten. Edda war über diese ihre Entdeckung erschrocken und begann sich Fragen zu stellen, nicht nur, aber vor allem die nach ihrem Vater, von dem sie wenig wusste. War dessen Leben etwa verbunden mit jenen Verbrechen, die das »Dritte Reich« charakterisieren? Sie begab sich auf die Suche nach Spuren ihres Lebens und das ihrer Eltern. Diese führten in deutsche und tschechische Archive und bezogen Berichte von Zeitzeugen ein.

1939 war Edda Tunn in Klosterheide im Heim »Kurmark« geboren worden. Ihre Mutter, zu jener Zeit mit Leib und Seele ihrem Beruf hingegeben, dem einer Kindergärtnerin, entstammte einer durchschnittlich, eher bescheiden lebenden Familie aus Leitmeritz, einer Stadt in den mehrheitlich von Deutschen bewohnten Randgebieten der Tschechoslowakei. Der Großvater, ein Lehrer, der das Musizieren liebte, vermittelte seinen Kindern eine auf Wissenserwerb gerichtete Strebsamkeit und die Liebe zur Kunst. Die wechselvollen Ereignisse, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, brachten politisch-staatliche Veränderungen, die aus der k. u. k. Monarchie in die Tschechoslowakische Republik führten und aus ihr über die »Heim ins Reich«-Propaganda der Nationalsozialisten zum Münchener Abkommen. Als Teil des Reiches entstand der »Sudetengau«.

All dies beeinflusste das Dasein der Bewohner dieses Landes auf unterschiedliche Weise. Eddas eher zurückhaltende und unpolitische Mutter verband sich in jenen Jahren mit einem 20 Jahre älteren Mann, der in Süd-Mähren geboren worden war. Er hatte der Henlein-Partei angehört und war 1933 auf einer Veranstaltung in Sachsen der NSDAP beigetreten, wofür ihn 1935 ein tschechisches Gericht verurteilte. Darauf scheiterte seine erste Ehe. Nach seiner Haftentlassung 1938 lernt er Eddas Mutter kennen. Offenbar hatte der »Lebenskünstler«, den Zeitzeugen in der schwarzen Uniform der Schutzstaffeln (SS) der NSDAP in Erinnerung hatten, die einfache unpolitische Frau durch Lebenserfahrung beeindruckt. Wenige Tage vor der Geburt ihrer Tochter heirateten beide im Heim »Kurmark«, in dem Edda auch geboren und alsbald dem dort üblichen Ritual einer SS-Namensweihe unterzogen wurde. Monate später löste die Mutter jedoch entschlossen die Ehe auf.

Die Autorin, die eigentlich ein Geschenk an den »Führer« sein und bleiben sollte, konnte andere Wege gehen, die ihr das Ende von Krieg und Faschismus eröffneten. Die kleine Familie kam als sogenannte Umsiedler in den Osten Deutschlands, über Pirna, Berlin und Neuruppin in Dörfer Mecklenburgs. Die Mutter war, obwohl eine »Fremde«, mit ihren besonderen pädagogischen und musischen Fähigkeiten als Kindergärtnerin in Schönberg besonders gefragt. Edda befand sich da im schulpflichtigen Alter. Das war der Anfang ihres Weges in eine neue Gesellschaft, die sich nach dem Kriege zu formieren begann. Beeindruckend die Darstellung ihrer weiteren Lebensstationen.

Die Mutter übernahm den Rheinsberger Kindergarten. Edda nutzte die Chancen, Bildung zu erwerben, machte ihr Abitur, studierte Kunsterziehung und Deutsch an der Humboldt-Universität und wurde eine kompetente Lehrerin. Sie gründete eine Familie, lebte und erlebte aber auch die Geschichte der DDR mit all ihren Problemen und Widersprüchen. Edda Tunn wohnt heute in Fürstenberg/Havel, unweit des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück. Sie engagierte sich im »Förderverein Gedenkstätte Ravensbrück« für ehemalige Häftlinge dieses Lagers im In- und Ausland und tritt entschlossen Mitbürgern entgegen, die unter den Einfluss von Rechtsextremen geraten sind und mitmachen. Am vergangenen Dienstag ist sie 70 geworden.

Edda Tunn: Kuckucksei. Geschichten eines Jahrhunderts. Verlag am Park, Berlin. 192 S., br., 14,90 EUR.

Edda Tunn
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