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Kolumbiens »Falsche Positive«

Regierung kann Skandal der außergerichtlichen Hinrichtungen nicht länger vertuschen

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre

Derzeit vergeht in Kolumbien kaum ein Tag, an dem nicht Uniformierte wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an außergerichtlichen Hinrichtungen festgenommen werden. Am Mittwoch und Donnerstag traf es neun Soldaten verschiedener Dienstgrade.

Die verhafteten Militärangehörigen stehen im Verdacht, insgesamt neun junge Männer in drei Provinzen ermordet und anschließend als Guerilleros ausgegeben zu haben. »Falsche Positive« heißt das in der Fachsprache der Militärs, gemeint sind falsche Erfolge im Kampf gegen bewaffnete Gruppen.

Damit hat sich die Zahl der in den letzten zwei Jahren wegen solcher außergerichtlichen Hinrichtungen verhafteten Uniformierten auf 434 erhöht. Der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsbüros in Bogotá stellt klar, dass es sich dabei nicht um vereinzelte Aktionen handelte, »sondern um eine sehr verbreitete Praxis, die von einer bedeutenden Anzahl von Militäreinheiten im ganzen Land ausgeübt wurde«. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft werden derzeit über 1000 Fälle untersucht, bei denen insgesamt 1666 Menschen hingerichtet wurden.

Im Oktober waren 27 Soldaten, darunter drei Generäle, wegen der »falschen Positiven« entlassen worden. Oberbefehlshaber Mario Montoya musste im November zurücktreten. Allein zwischen Januar 2007 und Juni 2008 wurden nach Untersuchungen von Menschenrechtsgruppen 535 Menschen außergerichtlich hingerichtet.

Am Montag hatte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos erstmals einen derartigen Mord durch Soldaten eingeräumt, der nach dem Skandal im Oktober stattfand. In der Provinz Córdoba wurde Weihnachten ein 18-jähriger Schüler ermordet und anschließend als Mitglied einer Drogengang ausgegeben. Dem kolumbianischen Menschenrechtsnetzwerk »Koordination Kolumbien-Europa-USA« zufolge geht die Armee neuerdings wieder verstärkt zur Praxis des »Verschwindenlassens« mit sorgfältiger Verwischung der Spuren über. Zu den außergerichtlichen Hinrichtungen in diesem Jahr, die die Menschenrechtler bekannt gemacht haben, schweigt die Regierung noch. Minister Santos wirft den Kritikern hingegen vor, den »guten Ruf« der

Streitkräfte durch »viele falsche Anschuldigungen zu beschmutzen«.

Präsident Álvaro Uribe stößt ins gleiche Horn. Natürlich müssten Menschenrechtsverletzungen untersucht und bestraft werden, sagte Uribe am Mittwoch. Allerdings werde versucht, durch falsche Anschuldigungen »die Aktionen der Sicherheitskräfte gegen die Terroristen« zu lähmen, behauptete der Staatschef und forderte, beschuldigte Soldaten und Polizisten sollten staatlichen Beistand für ihre Verteidigung erhalten.

Der Regierung kommen die Berichte alles andere als gelegen. Derzeit verhandelt sie in Brüssel zusammen mit Ecuador und Peru über ein Freihandelsabkommen mit der EU. Appelle von Gewerkschaftern und Solidaritätsgruppen, dabei Verbesserungen der Menschenrechtslage in Kolumbien zur Voraussetzung zu machen, verhallen jedoch weitgehend ungehört.

Washington prüft nach Angaben der US-Botschaft, ob die Milliarden für das angebliche Antidrogenprogramm »Plan Colombia« richtig verwendet würden. Nach Israel und Ägypten ist Kolumbien der drittgrößte Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe. Bislang hat der US-Kongress mit Verweis auf die prekäre Menschenrechtslage die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens mit Kolumbien verweigert.

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