Heiterer Abschied von Absurdistan

Rayk Wieland: Exekution des Konjunktivs

  • Anton Hiersche
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich eine einfache Liebesgeschichte aus dem geteilten Deutschland, wenn sie denn nicht so doppel- oder dreifachbödig wäre. Und wenn man nicht bemerkte, dass man immer mal wieder – recht sanft zwar – auf den Arm genommen wird. Es kann jedoch durchaus sein, dass man dessen mitunter gar nicht gewahr wird. Der Möglichkeiten sind da viele, deshalb spielt ja auch der Konjunktiv im Text eine so zentrale Rolle: »Mögliche Exekution des Konjunktivs« nennt sich nämlich ein Gedicht wie auch eine Gedichtsammlung aus der Feder des Ich-Erzählers. Und Exekution heißt mitnichten »Erledigung«, sondern Ausführung, Anwendung eben des Konjunktivs.

Die Liebesgeschichte also: Ein Philosophiestudent der Humboldt-Universität lernt in den 80er Jahren ein Mädchen aus München kennen, die als Touristin von Westberlin aus die Hauptstadt der DDR besucht hat. Die Liebe ist von kurzer Dauer und erfährt zudem täglich spätestens um Mitternacht eine unfreiwillige Unterbrechung, alldieweil Liane, so heißt die junge Dame, da den Grenzkontrollpunkt passiert haben muss. Und schließlich wieder abreist.

Es entwickelt sich dann ein intensiver Briefwechsel zwischen Ostberlin und München, und der junge Mann, von dem man nur das Initial W. seines Vornamens erfährt, schmückt seine Zeilen stets mit selbstverfassten Gedichten. Die Korrespondenz inklusive der Verse wird ihm zum Verhängnis – das bekannte Ministerium liest mit, kopiert und interpretiert: Verschwörung, Bildung einer oppositi-onellen »Gruppe 61«, Planung eines illegalen Grenzübertritts, Äußerungen feindlich-negativen Charakters usw. Das Eigenartige daran ist jedoch – alles bleibt ohne erkennbare Folgen für W.

Er erfährt von alledem erst post festum, und damit beginnt eigentlich die Handlung des Romans, die als Rückblende, inszeniert als Zeitreise in die Vergangenheit, erzählt wird. Im Nachhinein und wider Willen wird W. zum »unbekannten Untergrunddichter«. Das ergötzliche sprachliche Abenteuer, das Ineinander von Realität und Fantasie, von Stasi-Aktendeutsch, anspruchsvoller Lyrik, hanebüchenem Kommentar dazu, von Erlebnisbericht aus Philosophievorlesungen und Prenzlauer-Berg-Kneipentouren hebt an. Als Philosoph, der der Autor in der Tat ist, »hebt« er auch »auf«, nämlich Stimmungen, Gerüche, bildende Kunst und spezifisches Sprachgut, ja selbst Warensortiment der DDR. Hier räumt der Konjunktiv eindeutig dem Indikativ seinen Platz.

Die Notizen des Offiziers des MfS, der Schnatz heißt, zu den Gedichten des siebzehnjährigen W. stehen ebenfalls im Indikativ und sind gerade deshalb so absurd. Nur ein Beispiel sei herausgegriffen. Zu der ersten Zeile im »Sonett Nr. 66« Ich hab es satt. Wär ich ein toter Mann. lautet die Notiz: Defätistische Tendenzen/ evtl. suizidale Phantasien/ Feststellung evtl. nekrophiler Neigungen des W. durch Friedhofsbesuche mit IMS. Zu Zeile 6 Und Fraun vergebens sich der Männer wehrn heißt es: Plumpe Demagogie, die Rolle und Stand der Gleichberechtigung der Frau im Sozialismus unterminieren und in Zweifel ziehen soll. Da es sich hier um eine Übersetzung eines Sonetts von Shakespeare handelt, bekommen die Annotationen eine besondere Note.

So geht das fort und fort, und wer für die DDR seinerzeit etwas übrig hatte und vielleicht auch noch einen Funken Gespür für Lyrik, der wird rot – vor Scham. Hier wird kein Witz »exekutiert«, hier herrscht bitterer Ernst, durch keinen Konjunktiv gemildert. Das Land, in dem solche Kommentare zu Gedichten möglich waren, sollte Absurdistan geheißen haben, doch es hieß leider DDR. Wären der Aufwand und die Energie, mit der dieser Jugendliche W. und seine lyrischen Versuche beobachtet wurden, anderenorts und zu anderen Zwecken eingesetzt worden, hätte aus diesem Staat vielleicht noch etwas werden können.

Dass es anders kam und wie es zum Schluss zuging, erzählt Rayk Wieland mit viel Ironie und Humor – vom Malen der Transparente zur Demonstration am 4. November 1989 im Friseurmuseum in der Husemannstraße im Prenzlauer Berg, dem Sturm auf die bundesdeutsche Botschaft in Prag, dem Abend des 9. November in der Lotus Bar in der Schönhauser Allee bei Cuba Libre und »Nicaragua-Solidaritäts-Cigarre« unter den Augen der ungeduldig auf einen Trip nach Westberlin via Bornholmer Straße wartenden Barkeeper und Kellnerinnen. Das muss man gelesen haben.

Im Anhang dokumentiert der Autor (Jg.1965), Philosoph, Re-dakteur u.a. bei »Junge Welt« und »Konkret«, Fernsehjournalist, alle Gedichte und die jeweiligen Kommentare, auch den Bericht des Oberleutnants Schnatz, und versichert, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruhe. Man glaubt ihm aufs Wort. Doch sollte man das in jeder Hinsicht? Man kennt Beispiele aus der Literatur, wo Dokumente samt und sonders fingiert sind. Eines davon – der »Dokumentar«-Roman »August 44« (erschienen 1974) des russischen Autors Wladimir Bogomolow. Die Kritik kam nicht sofort dahinter, dass der Autor alle darin zitierten Dokumente – sehr täuschend und sehr professionell – erfunden hat. Und vermutete man nicht schon zu Beginn, dass uns Rayk Wieland hin und wieder auf den Arm nimmt? Ist der Anhang ein solcher Fall? Wer weiß ...

Die Gedichte wären einer gesonderten Würdigung wert, ebenso die Beschreibung des Wandgemäldes aus dem Werk für Fernsehelektronik in Kapitel 8, eine Meisterleistung. Doch ich schlage vor, dass Sie alles nun selbst lesen.

Rayk Wieland: Ich schlage vor, dass wir uns küssen. Roman. Verlag Antje Kunstmann. 207 S., geb., 17,90 €.

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