Slang gegen die Depression

Sarah Kuttner und ihr B-Promi-Besteller »Mängelexemplar«

  • Matthias Kröner
  • Lesedauer: 2 Min.

Den ersten Promi-Bestseller nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Hildegard Knef. »Der geschenkte Gaul« (1970) stand bald auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde in 17 Sprachen übersetzt. Unzählige B-, C- und D-Promis sprangen auf den Erfolgszug auf; manche wie Stefan Effenberg scheiterten. In jüngster Zeit machten vor allem »Ich bin dann mal weg« von Hape Kerkeling und »Feuchtgebiete« von Charlotte Roche die Buchhändler gefügig und die Kritiker wild. Jetzt also »Mängelexemplar« von Sarah Kuttner. Und das Buch der Ex-Viva-Vorzeigefrau ist sogar ein gekonntes Stück Literatur geworden.

Dabei ist das Thema eher langweilig und die Handlung dünn … Die stressgeplagte, selbstbewusst-freche Emo-Nervensäge Karo Herrmann (die einem mit der ersten Szene sympathisch ist) erkrankt an einer Depression. Der Verlust eines gut bezahlten Jobs in der Medienbranche, die halbbewusste Trennung von ihrem Freund und Traumata aus der Kindheit waren zuviel. Was sich so dramatisch anhört, wird – zum Glück! – in einer flotten und hippen Jugendsprache vorgetragen, einem Slang, der authentisch wirkt, weil er viele Floskeln der Endzwanziger aufgreift und mit bisweilen schrägen Metaphern und wilden Vergleichen aufmischt. Sieht Kuttner das ernste Thema zu locker? Nein, denn niemand braucht einen Roman, in dem sich die Hauptperson einfach nur schrecklich leid tut. Karo – zumindest in Teilen Kuttners Alter Ego – zeigt, wie man mit Selbstironie, grimmigem Humor, aber auch Psychopharmaka und einer Therapie der Krankheit entgegentreten kann.

Wer mag, kann sich über geschmäcklerische Adjektive wie »okayer« oder Verben wie »geabendbrotet« aufregen. Auch über einige nicht ganz stimmige Dialoge, eine überlange, für die Handlung nicht zwingend notwendige Szene (Weihnachten mit der Familie) und manche Gags, die aus dem Ruder gelaufen sind. Aber im Groben (und auch im Feinen) stehen die so frisch und intelligent geschriebenen Offenbarungen der Ich-Erzählerin weit über den »frechen Frauenromanen« (die im Text veralbert werden).

Dieter Moor (»Titel Thesen Temperamente«, ARD) war »begeistert«, Dennis Scheck (»Druckfrisch«, ARD) kloppte das Buch in die Tonne. Man muss den Sprachduktus (die nach Luft schnappenden Sätze) und diese coole Attitüde mögen, die zehn Mal echter ist als bei Benjamin von Stuckrad-Barre (ja, den gibt es noch) in seinen besten Zeiten. Lesen Sie in einer Buchhandlung die ersten Seiten von Sarah Kuttners Buch und prüfen Sie, ob es für Sie stimmig klingt! Ich komme zu einem klaren Votum: Mehr von diesem B-Promi.

Sarah Kuttner: Mängelexemplar. S. Fischer. 272 S., brosch., 14,95 €.

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