Neue Klodeckel machen Bildung nicht besser

Aufruf zum bundesweiten »Bildungsstreik 2009« / Aktionen in über 80 Städten geplant

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu einem bundesweiten »Bildungsstreik« ruft für nächste Woche ein breites Bündnis von Studierenden, Schülern und gesellschaftlichen Gruppierungen auf. Mit Demonstrationen und Protestaktionen soll Druck für eine andere Bildungspolitik gemacht werden, betonten die Initiatoren des Streiks gestern vor Medienvertretern.

Die Organisatoren haben die Ziele hochgesteckt: Mindestens 150 000 Schüler und Studierende, so ihre Erwartung, werden kommende Woche ihren Unmut über die unzureichende Finanzierung des Bildungssystems, mangelnde Mitbestimmung in den Bildungseinrichtungen, überhastet eingeführte Schulzeitverkürzungen und wachsenden Notendruck artikulieren. Hinter der »Projektgruppe Bildungsstreik 2009«, die die Aktionen koordiniert, stehen über 70 lokale Bündnisse und 230 Organisationen aus dem linken politischen Spektrum. Unterstützt werden die Aktionen auch von den beiden Gewerkschaften ver.di und GEW.

»Wir hoffen auf eine öffentliche Debatte, in der eine kontroverse Auseinandersetzung über Bildungspolitik entsteht«, sagte Silvia Gruß von der »Projektgruppe«. Die von den EU-Bildungsministern vor zehn Jahren in der sogenannten Bologna-Erklärung eingeleitete Harmonisierung des europäischen Hochschulraums sei gescheitert, kritisierte Gruß. Durch die Modularisierung der Studiengänge sei der Leistungsdruck auf die Studierenden in Deutschland »extrem gesteigert worden«.

Kritik wird von den Initiatoren des Protests vor allem am Desinteresse der Politik am nötigen Ausbau des Bildungssystems geäußert. Während die Bundesregierung bereit ist, für Banken und die Wirtschaft Milliarden von Euro auszugeben, würden Kindergärten, Schulen und Universitäten mit Peanuts abgespeist. Selbst das Geld, das im Rahmen des Konjunkturpaketes für den Bildungssektor ausgegeben werden soll, komme allenfalls der Bauindustrie zugute, nicht aber den Schülern, kritisierte der Schülervertreter Kaspar Metzkow. Den Schulen fehle es an pädagogischen Reformen. »Wie sollen wir etwas lernen, wenn nach wie vor der Unterricht meist so aussieht, dass der Lehrer vorne steht und doziert, statt die Schülerinnen und Schüler aktiv am Lernprozess zu beteiligen? Wir brauchen Lehrer, die nicht nur fachwissenschaftlich, sondern auch pädagogisch gut ausgebildet sind«, forderte der Schüler einer zehnten Klasse an einem Berliner Gymnasium.

Der Großteil der 28 Milliarden Euro, die im Rahmen des Bund-Länder-Programms ins Bildungssystem investiert werden sollen, kommt nach Einschätzung des ehemaligen Hochschullehrers Peter Grottian aus Berlin der Spitzenforschung und der Schaffung von Studienplätzen für die leistungsbesten Abiturienten zugute oder wird für Baumaßnahmen ausgegeben. »Durch einen Fassadenanstrich oder neue Klodeckel werde die Qualität des Bildungswesens aber nicht besser«.

Ver.di-Chef Frank Bsirske wies auf die Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems hin. Deutschland rangiere bei den Bildungsausgaben in einer Statistik der OECD auf dem drittletzten Platz unter 27 Ländern. Die Folgen seien katastrophal. Jeder zehnte Jugendliche verlasse mittlerweile die Schule ohne Abschluss, unter den Schülern mit Migrationshintergrund liege die Quote gar bei 18 Prozent. Bsirske forderte deutliche staatlichen Mehrausgaben für die Bildung. Unterstützung erhält der ver.di-Vorsitzende von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die schätzt in einer Studie den jährlichen Mehrbedarf an Bildungsinvestitionen 30 Milliarden Euro. Allein für den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz bis 2010 und den Ausbau eines Ganztagsschulsystems sind laut Stiftung Mehrausgaben von rund neun Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.

Die Aktionswoche des »Bildungsstreiks 2009« startet am 15. Juni und dauert bis zum 19. Juni. Für den 17. Juni sind Demonstrationen in über 80 Städten geplant.

www.bildungsstreik2009.de

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