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Dürfen Schüler streiken?

Inka Glockentöger über rechtliche Folgen beim Bildungsstreik / Die Lehrerin ist im Berliner Landesverband der GEW in der Gruppe der Junglehrer aktiv

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Dürfen Schüler streiken?

ND: Für nächste Woche hat ein breites Bündnis von Studierenden, Schülern und gesellschaftlichen Organisationen zum bundesweiten Schülerstreik aufgerufen. Sind Sie dabei?
Glockentöger: Ja, ich werde mich an den Protesten in Berlin und auf jeden Fall am 17. Juni an der bundesweiten Demonstration beteiligen. Als Lehrerin, die derzeit ohne Anstellung ist, ist das für mich auch problemlos möglich.

Für Ihre Kolleginnen und Kollegen könnte eine Teilnahme an den Protesten allerdings arbeitsrechtliche Folgen haben, oder?
Das hängt vom Verhalten der Vorgesetzten bzw. von der lokalen Situation ab. In Berlin können die angestellten Lehrerinnen und Lehrer am 17. Juni streiken, da die Gewerkschaften in der nächsten Woche zu einem Warnstreik im Rahmen der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst aufgerufen haben. Die verbeamteten Lehrkräfte haben allerdings kein Streikrecht.

Gibt es dennoch Handlungsspielräume, die die Lehrkräfte nutzen können?
Die gibt es, aber das erfordert ein gewisses Maß an Phantasie. Man kann zum Beispiel im Rahmen einer Unterrichtsreihe zum Thema »Demokratie« eine Exkursion mit den Schülerinnen und Schülern zu der Demonstration unternehmen – natürlich mit Beobachtungsaufgaben und Arbeitsbögen. Eine andere Möglichkeit ist, im Rahmen eines Wandertags die Wanderroute mit der Klasse entlang der Demoroute zu legen. Ob solche »Tricks« funktionieren, hängt natürlich auch vom Wohlwollen der Schulleitung ab.

Die Initiatoren des Bildungsstreiks wenden sich auch an Schülerinnen und Schüler. Für die dürfte eine Teilnahme an den Protesten aber schwierig werden, schließlich gibt es die Schulpflicht.
Das stimmt, Schüler und Schülerinnen sind zunächst einmal verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen. Gegen die Schulpflicht stehen allerdings die vom Grundgesetz garantierten Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ein Gerichtsurteil, dass dieses juristische Dilemma auflösen würde, gibt es bislang nicht.

Auch hier gilt also, dass es sowohl für Lehrkräfte als auch für Schulleitungen und die Schulaufsicht Handlungsspielräume gibt?
Ja, bleibt zum Beispiel ein Schüler vom Unterricht fern, um an einer Demonstration teilzunehmen, muss dieses unentschuldigte Fehlen keine weiteren Konsequenzen haben – außer einem Eintrag im Klassenbuch und später auf dem Zeugnis. Ist an einem solchen Tag eine Klassenarbeit angesetzt worden, kann diese mit »ungenügend« bewertet werden. Ob das wirklich geschieht, muss die Lehrkraft entscheiden. Ich denke, es wäre am besten, wenn während der Protestveranstaltungen – besonders am 17. Juni – keine Lernkontrollen stattfinden, um solche Konflikte von vornherein zu vermeiden.

Aber Lehrer können nicht aktiv zum Streik aufrufen?
Das dürfen sie nicht, denn sie sind ja dafür verantwortlich, dass die Schulpflicht eingehalten wird.

Verletzen sie aber nicht ihre Aufsichtspflicht, wenn sie dennoch ein Auge zudrücken und minderjährige Schüler ziehen lassen?
Ja, Lehrkräfte dürfen Schülerinnen und Schüler nicht einfach aus dem Unterricht entlassen, damit diese zu einer Demonstration gehen können. Wenn die Schüler und Schülerinnen aber einfach nicht zum Unterricht erscheinen, hat der Lehrer oder die Lehrerin auch nicht gegen die Aufsichtspflicht verstoßen.

Fragen: Jürgen Amendt

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