Einsame Wölfe in Lauerstellung

Furcht vor einer Welle rechtsextremer Anschläge in den USA

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Max Böhnel, New York

Nach dem Mordanschlag im Washingtoner Holocaust-Museum durch einen bekannten Nazi am Mittwoch warnen die US-amerikanischen Behörden und Antifa-Initiativen vor weiterem rechtsextremen Terror.

Die US-Bundespolizei FBI hat einen Tag nach der Ermordung eines Wächters im Washingtoner Holocaust-Museum durch den 88-jährigen Nazi James von Brunn die Öffentlichkeit zur Hilfe aufgerufen. Die Aufforderung, die Augen offen zu halten, erfolgte offenbar in der Erkenntnis, dass »einsame Wölfe« aus der rechtsextremen Bewegung die Wirtschaftskrise und die Wahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten zum Anlass für weitere Anschläge nehmen könnten.

Am Mittwochmittag war von Brunn vor dem Holocaust-Museum in der Bundeshauptstadt unweit des Weißen Hauses mit einem Winchester-Gewehr aus seinem Auto ausgestiegen und hatte das Feuer auf den 39-jährigen Wachmann Stephen Johns eröffnet, der dem alten Mann die Tür aufhielt. Zwei weitere Sicherheitsleute erwiderten die Schüsse. Der Wachmann starb im Krankenhaus. Der den Behörden bekannte Nazi wurde ins Gesicht getroffen und ringt mit dem Tod. In seinem Fahrzeug, das er vor dem Museum geparkt hatte, fand die Polizei Sprengstoffspuren sowie Pläne möglicher weiterer Anschlagsziele in Washington.

Der Anschlag ist der dritte aus dem rechtsextremen Spektrum in jüngster Vergangenheit. Am vergangenen Sonntag war der bekannte Arzt Dr. George Tiller, der Spätabtreibungen vorgenommen hat, in Wichita im Bundesstaat Kansas von dem militanten Abtreibungsgegner Scott Roeder erschossen worden. Am 4. April hatte ein Neonazi in Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania drei Polizisten ermordet.

Wenige Stunden nach dem Mord am Eingang des Holocaust-Museums erklärte US-Präsident Barack Obama, die Tat erinnere daran, dass »wir gegen Antisemitismus und Vorurteile in all ihren Formen wachsam bleiben müssen.« Vor knapp einer Woche hatte er dies bereits in Buchenwald betont.

Die Medien hierzulande räumen der Biografie des polizeibekannten von Brunn viel Platz ein. Er betrieb seine eigene Webseite www.holywesternempire.org, auf der er aus seiner Naziideologie keinen Hehl machte – von seiner Bewunderung Hitlers über einen paranoiden Antisemitismus und die Verachtung aller Nichtweißen bis hin zur Behauptung, er habe als Kommandant eines US-amerikanischen Kanonenboots im Zweiten Weltkrieg »auf der falschen Seite gekämpft«. Ende 1981 war er schwer bewaffnet in die Notenbank »Federal Reserve« eingedrungen mit dem selbst erklärten Ziel, den damaligen Notenbankchef Paul Volker als Geisel zu nehmen. Er konnte in letzter Minute davon abgehalten werden. Sechs Jahre saß von Brunn in Haft. Er sei das Opfer von »Negern« und »Judenrichtern und -anwälten« geworden, klagte er damals.

Wie es möglich war, dass von Brunn nach seiner Freilassung weiterhin illegal Waffen besitzen und sich mit ihnen frei in Washington bewegen konnte, diese Frage ließen die Medien allerdings aus. Die »Washington Post« berichtete aus seinem Wohnort im Bundesstaat Maryland, dass er dort jahrelang unbehelligt antisemitische Hassiraden von sich gab. Sie sei von seiner Tat »überhaupt nicht überrascht«, wurde eine Bewohnerin zitiert.

Das Heimatschutzministerium »Department of Homeland Security« hatte im April eine zehnseitige Broschüre mit der Warnung vor rechtsextremem Terror in den USA veröffentlicht. Darin ist die Rede von einem befürchteten »Aufschwung rechtsextremer Rekrutierungs- und Radikalisierungsaktivitäten«, wozu »eine Anzahl wirtschaftlicher und politischer Faktoren« beitrage – die Wirtschaftskrise und die Präsidentschaft des Afroamerikaners Barack Obama an erster Stelle. Ausdrücklich heißt es in dem Dokument: »Antisemitische Extremisten führen die Situation auf eine bewusste Verschwörung zurück, die auf jüdische ›Finanzeliten‹ zurückgehe«. Doch unter dem Aufschrei der rechten Republikaner, die der Broschüre »unlautere politische Motive« unterstellten, und vor allem von Veteranenorganisationen, war der Bericht wieder zurückgezogen worden. Denn in ihm war auch die Rede von der Gefahr, dass frustrierte Heimkehrer aus den Kriegen in Irak und in Afghanistan leicht rekrutierbares Personal für die Neonazis seien.

Erfahrene Bürgerrechtsorganisationen und linke Beobachter der US-Neonaziszene stimmen der Einschätzung der Behörden zu, dass die jüngsten Morde auf Einzeltäter oder höchstens »Kleinzellen« zurückgehen, die vom FBI nicht unterwandert werden konnten. Mitte der 1990er Jahre hatten die Bundespolizei sowie die staatlichen und örtlichen Behörden große Teile des militanten rechtsextremen Untergrunds ausgehoben und festgesetzt. Auslöser war der verheerende Anschlag auf ein Bundesgebäude in Oklahoma City am 19. April 1995, bei dem 168 Menschen starben.

Auch der seit Jahrzehnten engagierte Antifa-Aktivist Leonard Zeskind aus dem Bundesstaat Kansas befürchtet in den kommenden Wochen und Monaten weitere Anschläge von »einsamen Wölfen«. Als »lone wolf« definierte er in der linken Radiosendung »Democracy Now« ein langjähriges Mitglied oder einen alten Sympathisanten der rechtsextremen Bewegung, der sich bewusst dafür entschieden habe, allein zu handeln, um seine Gesinnungsgenossen nicht zu gefährden und vor dem Zugriff der Behörden zu schützen. Er schätzt den harten Kern von organisierten Rechtsextremen in den USA auf 30 000 Personen. Bis zu 250.000 Anhänger dürften danach die entsprechenden Publikationen regelmäßig lesen, auf Treffen gehen und Geld spenden. Nicht eingerechnet sind laut Zeskind darin die passiven Rechtsextremen, die sich darauf beschränken, bei Wahlen auf lokaler und auf der Ebene der Bundesstaaten für den jeweils rechtesten Kandidaten zu stimmen und faschistoiden Talkshow-Hetzern im Radio zu lauschen.

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