Europas Pflicht

  • André Brie
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Europaabgeordnete wird nach zwei Wahlperioden dem neuen Europäischen Parlament nicht mehr angehören. Er war unter anderem Berichterstatter für Afghanistan.
Der Europaabgeordnete wird nach zwei Wahlperioden dem neuen Europäischen Parlament nicht mehr angehören. Er war unter anderem Berichterstatter für Afghanistan.

Es war eine Premiere in Berlin: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wurde am Montag an deutsche Soldaten eine »Tapferkeitsmedaille« verliehen. Symbolisch ausgezeichnet wurden mit dem Ehrenzeichen, das entsetzlich an das Eiserne Kreuz erinnert, vier in Afghanistan eingesetzte Soldaten. Sie hatten im vergangenen Herbst nach einem Anschlag bei Kundus versucht, Menschen zu retten.

Natürlich verdient es Hochachtung, dass die Bundeswehrsoldaten unter Einsatz ihres Lebens versuchten, verletzte afghanischen Zivilisten und ihre Kameraden aus der Gefahrenzone zu bergen. Was allerdings bei der Zeremonie im Bundeskanzleramt nicht gesagt wurde: Der Krieg in Afghanistan (von dem auch nicht gesprochen wurde) hat seit 2001 weit mehr als zehntausend Tote unter der Zivilbevölkerung, nach UN-Angaben allein im vergangenen Jahr 2118, gefordert. Die Hoffnungen der Afghaninnen und Afghanen auf ein Ende von mehr als dreißig Jahren Krieg, ausländischer Besatzung und sozialer Not sind mit ihnen begraben worden. Die deutschen Einheiten sind nicht erst seit der in der vergangenen Woche vom Bundestag genehmigten Beteiligung an AWACS-Aufklärungsflügen ebenso Teil der Militärmaschinerie in Afghanistan wie die Truppen aus anderen Staaten – ob sie nun als Teil der NATO-geführten ISAF-Mission oder der »Anti-Terror-Operation« Enduring Freedom unter US-Flagge agieren. In diesem Sommer wird die Zahl der Bundeswehrsoldaten mit knapp 4800 Mann einen neuen Höchststand erreichen und stößt damit an die Grenze des vom Bundestag Erlaubten.

Die Truppenentsendung ist Teil der »Obamaisierung« des Afghanistan-Feldzugs. Während der neue US-Präsident offensichtlich eine Entspannung in Irak und den schrittweisen Rückzug der dortigen amerikanischen Einheiten anstrebt (der jedoch ebenfalls völlig offen ist), setzt er am Hindukusch verstärkt auf die militärische Karte – obwohl zu Beginn seiner Amtszeit durchaus noch von neuen Elementen, wie der stärkeren finanziellen Unterstützung des zivilen und wirtschaftlichen Aufbaus, die Rede war. Letztlich bedeutet die »neue« US-Strategie auch die endgültige Zurückdrängung autonomer und alternativer Strategien anderer Akteure in Afghanistan, darunter die UN und die EU, ihre beinahe vollständige Unterordnung unter die gescheiterte Politik der USA. Erst in der Vorwoche startete eine der größten US-Operationen gegen mutmaßliche und tatsächliche Taliban. Von Erfolgen, sonst selbst bei der »Ausschaltung« weitgehend unbedeutender lokaler Führer der Extremisten groß vermeldet, hörte man diesmal nichts.

Auch das Europäische Parlament hat wiederholt darauf verwiesen, dass eine militärische »Lösung« für die Konflikte in Afghanistan nicht möglich ist und einen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wiederaufbau stark behindert oder gar ganz unmöglich macht. Schon bei meinen letzten Besuchen in dem Land am Hindukusch musste ich eine enorme Zuspitzung der Situation konstatieren. Im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl im August verschärft sich die Lage nochmals.

Die Abkehr von der fortgesetzten Kriegsstrategie in Afghanistan ist unabdingbar. Dazu muss trotz der internationalen Krise eine massive Anhebung der zivilen, sozialen und wirtschaftlichen Unterstützung für das Land kommen und die Bereitschaft, Afghanistan selbst über seine Belange entscheiden zu lassen und wirklich funktionierende staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken. Natürlich müssen alle internationalen Akteure, auch Iran, in diesen Prozess einbezogen werden. Nur so hat Afghanistan eine Chance. Das weiß auch jede europäische Regierung. Die EU steht daher in der Pflicht, zum neuen, alten Kurs des US-Präsidenten nicht zu schweigen.

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